Im Gespräch mit

Lukas Bischof

Hochschulberater und Trainer

Herr Bischof, mit welchen Anliegen wenden sich Hochschulen an Sie?

Die meisten Anfragen erreichen uns im Bereich der Qualifizierung. Eines meiner persönlichen Schwerpunktthemen ist im Projektmanagement. Dies lernt man ja interessanterweise in der wissenschaftlichen Ausbildung nicht explizit, ist für eine erfolgreiche Karriere in Wissenschaft wie Verwaltung aber von großer Bedeutung. Im Bereich Beratung unterstützen wir zum Beispiel aktuell ein Projekt, bei dem es darum geht, die Prozesse in einer Hochschulverwaltung gemeinsam zu optimieren. Hierbei handelt es sich um eine schnell gewachsene Hochschule mit gewachsenen Prozessen, die mit 200 Studierenden noch sehr gut funktionierten, mit 4000 aber nicht mehr. Ansonsten bin ich zum Beispiel auch noch als Referent im CHE Hochschulkurs tätig, zum Beispiel aktuell im Jahresprogramm »Projekt und Change Management«, in dem Hochschulmanager*innen und Hochschulleitungen sich gemeinsam der Frage widmen, wie Veränderungsprojekte an Hochschulen gelingen können. Die Kernfrage ist dabei »Wie schaffen wir es, dass die Menschen, die da mitziehen sollen, auch mitziehen wollen?«

Lukas Bischof studierte Psychologie, Betriebswirtschaft und Russisch und promovierte über die Steuerung von Hochschulsystemen. Seit 2008 ist er als Hochschulberater und Trainer tätig und hat in dieser Zeit über 100 nationale und internationale Projekte für Hochschulen, Stiftungen und die EU Kommission durchgeführt (Website).

Was reizt Sie an der Arbeit mit Hochschulen?

Prinzipiell mag ich das Umfeld sehr gerne: Ich habe mit sehr vielen sehr klugen und teilweise auch sehr idealistischen Menschen zu tun. Ich lerne selbst wahnsinnig gerne und ich finde die unterschiedlichen Disziplinen und inhaltlichen Themen der Wissenschaftler*innen sehr spannend. Inhaltlich interessiere ich mich selber für sehr viele unterschiedliche Dinge und finde daher viele Anschlusspunkte. Gleichzeitig ist es auch herausfordernd, wie schwierig es ist, diese Organisation nachhaltig zu verändern.

 

Warum sind Hochschulen schwieriger zu ändern als Unternehmen oder andere Organisationen?

Im Kern liegt das an zwei Dingen: Erstens am hohen Grad der Autonomie der Einzeleinheiten innerhalb der Wissenschaft, wo jede*r Lehrstuhlinhaber*in im Bereich der Forschung und Lehre im Prinzip tun kann, was er*sie möchte. Das ist anders als im klassischen Organisationsideal nach Max Weber. Dieses stellt eine Pyramide dar, bei der oben der*die Chef*in steht, unten die, die ausführen sollen, und in der Mitte die, die koordinieren und kontrollieren. Eine solche Organisation ist also hierarchisch organisiert. So etwas gibt es an der Hochschule eigentlich nicht, zumindest nicht auf die ganze Organisation bezogen. Man findet hierarchische Strukturen in der Zentralverwaltung, die in ihrer Struktur der einer Behörde ähnlich ist. Aber im Bereich der Wissenschaft gibt es das eigentlich nicht.

Der andere Grund ist, dass wir es bei Hochschulen mit Expertenorganisationen zu tun haben. In einer solchen gibt es viele hochausgebildete, hochspezialisierte Expert*innen, die in ihrer Disziplin aber natürlich nicht dadurch aufsteigen, dass sie eine gute Führungsperson sind, sondern auf Basis ihrer wissenschaftlichen Meriten. Im Ergebnis haben wir dadurch in den Führungspositionen, also auf den Professuren, Menschen, die zwar in ihrer wissenschaftlichen Leistung herausragend sind, die aber Management und Führung in aller Regel nicht systematisch gelernt haben. Das macht es schwierig, das System auf die Lösung einer gemeinsamen Aufgabe auszurichten. So etwas funktioniert nur über Verständigung, über Vertrauen, und zu einem gewissen Grad über Macht und braucht viel Zeit, Überzeugung und die richtigen Anreize.

 

Wie kann man solche Leadership-Skills strukturell fördern?

Da gibt es verschiedene Versuche. Zum einen werden Graduiertenschulen ausgebaut, wo Promovierende und PostDocs neben der fachlichen Ausbildung noch Weiterbildungen besuchen können. Eine andere Möglichkeit ist, mit neu berufenen Professor*innen als Teil der Berufungsvereinbarung Weiterbildungen zu vereinbaren, teilweise auch verpflichtend. Aber im Wesentlichen hat man da, wo es gut funktioniert, jemanden an der Spitze der Institution, der*die Leadership vorlebt. Ein bekanntes Beispiel ist die TU München, die als Organisation nicht zuletzt deshalb sehr veränderungsfähig war, weil ihr Präsident sowohl ein hoch anerkannter Chemiker als auch ein ausgezeichneter Manager war. Aber nur, weil er ein ausgezeichneter Chemiker war, hat er seitens der Wissenschaftler*innen so einen hohen Grad an Vertrauen und Wertschätzung für seine Managementvorstellungen bekommen.

Zuletzt gibt es noch freiwillige Angebote, wie die offenen Fortbildungsprogramme zum Beispiel des Centrums für Hochschulentwicklung. Entwicklung von Leadership-Skills kann man erleichtern, indem man systematisch solche Angebote schafft. Häufig kommen aber Professor*innen nicht in Fortbildungen, solange sie sich auf Forschung und Lehre konzentrieren, sondern oft erst, wenn sie in Führungspositionen kommen.

»An Hochschulen gibt es viele hochausgebildete Expert*innen, die in ihrer Disziplin nicht dadurch aufsteigen, dass sie eine gute Führungsperson sind, sondern auf Basis ihrer wissenschaftlichen Meriten.«

Wie gehen Sie in Ihrer Beratungstätigkeit mit Widerständen und Transformationshemmern innerhalb der Hochschulen um?

Da gibt es kein Patentrezept, aber im Kern stelle ich psychologische Fragen wie »Was für Interessen haben die Beteiligten? Woher kommt der Widerstand? Wie kann man ihnen ihre Ängste nehmen? Wie kann man mit den Beteiligten eine Beziehung aufbauen und sie einbinden? Wie kann man Allianzen schaffen für den Wandel?« Das ist ein Riesenthema.

 

Ändern sich Hochschulen langsamer als Unternehmen, die am Markt bestehen müssen?

Ja, das ist auf jeden Fall so. An Hochschulen gibt es einen hohen Grad der Autonomie, der von Menschen ausgeübt wird, die einen sehr langen Sozialisationsweg hinter sich haben. Bevor jemand überhaupt Professor*in wird, wurde er*sie mindestens 10-15 Jahre in der entsprechenden Disziplin sozialisiert. Und damit nimmt man einen bestimmten Habitus an, damit nimmt man eine bestimmte Sprache an, eine bestimmte Art und Weise zu denken, und eine bestimmte Art und Weise, Wissenschaft zu betreiben. Das zu ändern, ist relativ schwierig, wenn es keine externe Notwendigkeit dafür gibt. Wenn zum Beispiel Daimler-Benz alle drei Jahre die Strategie und die Produktpalette ändern würde, von Autos zu Gartengeräten und dann zu Ratgeberliteratur über Philosophie, dann wäre diese Firma irgendwann vermutlich vom Markt. Aber eine staatliche Hochschule ist von Marktkräften weitestgehend geschützt.

 

Wie haben sich die Anforderungen an Hochschulen in den letzten 20 Jahren verändert?

Eine wesentliche Änderung ist die Art der Hochschulfinanzierung und damit indirekt die Art der Hochschulsteuerung durch die Träger der Hochschulen. Früher war es so, dass es Budgets mit Einzelposten gab, zum Beispiel für Büromaterial oder Labors. Jetzt gibt es einen Trend hin zu Globalbudgets nach dem Motto: »Hier habt ihr X Millionen Euro – nutzt das Geld zum Erreichen strategischer Ziele.« Das erhöht die Macht der Präsidien und Rektorate, also derjenigen, die über die Globalbudgets entscheiden. Diese haben nun auf einmal ein Instrument in der Hand, mit dem sie innerhalb der Hochschule verhandeln können, wobei diese auch ihre Grenzen haben.

Eine weitere wichtige Veränderung ist, dass zwar auf der einen Seite der Anteil der Grundfinanzierung der Hochschulen in den letzten 30 Jahren stark gesunken ist. Gleichzeitig war aber noch nie so viel Geld im Hochschulsystem wie heute. Allerdings wird es nun kompetitiv verteilt, also über Förderprogramme, auf die man sich im Rahmen von Ausschreibungen bewerben muss. Das ist auch ein Steuerungssystem der mittelgebenden und mittelverteilenden Institutionen. So können die, die diese Programme designen, zum Beispiel sagen: »Ihr kriegt Geld, wenn ihr zum Thema XY, also z.B. zu Nachhaltigkeit forscht.«

»An Hochschulen gibt es einen hohen Grad der Autonomie, der von Menschen ausgeübt wird, die einen sehr langen Sozialisationsweg hinter sich haben.«

Inwiefern hat das Einfluss auf die internen Organisationsstrukturen der Hochschulen?

Die Hochschulen müssen Strukturen schaffen, um diese neuen Anforderungen zu bewältigen. Deswegen gibt es jetzt Forschungsförderzentren, weil die Menschen in der Organisation ja auch lernen müssen, Anträge zu schreiben. Und deswegen gibt es mehr Personalentwicklungskurse, die zum Beispiel auch die Weiterqualifizierung im Projektmanagement anbieten, die ich selbst viel gebe. All das stärkt die Organisationseigenschaften von Hochschulen.

Hochschulen haben ja immer nach bestimmten, tradierten Regeln als Institution funktioniert und waren weniger wie eine Organisation. Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass es eine klare Hierarchie und eine Strategie gibt und Mittel basierend darauf zugewiesen werden, ob etwas für diese Strategie zweckdienlich ist. Das ist einer der Makrotrends der letzten 20 Jahre: Die langsame Entwicklung der Hochschulen von der Institution hin zur Organisation.

 

Wäre es ein Schritt in die richtige Richtung, den Anteil der Grundfinanzierung zu erhöhen, um den kompetitiven Druck zu verringern?

Auf der persönlichen Ebene der Wissenschaftler*innen unterhalb der Professur mit ihrer derzeit hohen Beschäftigungsunsicherheit würde eine stärkere Grundfinanzierung sicher helfen, den Konkurrenzdruck zu reduzieren. Aber auf der Systemebene ist es schon kein falscher Gedanke, zum Beispiel sagen zu können: »Wir haben uns als Gesellschaft die SDGs als Ziele gesetzt und dafür wünschen wir uns Lösungen von unseren Universitäten. Daher wollen wir Forschung in diese Richtung finanzieren.« Solch eine Politik ist schon zweckmäßig, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Allerdings stellt sich dann die normative Frage: Was ist der Zweck der Universität? Das ist eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort und kein externes Kriterium gibt, das diesen Zweck festlegt. Oder wie sind die unterschiedlichen Zwecke zu gewichten? Ist Forschung höher zu gewichten als Lehre? Letzteres ist de facto aktuell so aufgrund der Anreizsysteme, die Forschung »belohnen«, aber sollte das auch wirklich so sein? Das ist eine Wertentscheidung, bei der es kein richtig oder falsch gibt.

 

Wie kann wissenschaftliche Performance anders gemessen werden, um auch Lehre oder Interaktion mit gesellschaftlichen Akteur*innen miteinzubeziehen?

Jede Hochschule hat natürlich Einfluss auf die Anreizsysteme und kann zum Beispiel sagen: »Jemand, der in der Lehre exzellent ist, bekommt ein Forschungsfreisemester.« Ich finde die Uni Lüneburg ganz spannend, weil es eine der wenigen Unis ist, die in den letzten 15 Jahren wirklich etwas fundamental Neues versucht haben. Zu Studienbeginn gibt es dort das interdisziplinäre »Leuphana-Semester«, in dem es gemeinsame Projekte von Studierenden und Lehrenden gibt.

Das Problem ist, dass das Auswahlkriterium für die Berufung auf die einzig wahre feste Position in der Wissenschaft – die Professur – letztlich nach wie vor die Forschungsleistung ist. Da es zudem in Deutschland keine Hausberufungen gibt, entscheidet meist eben doch: Wer hat die längere Publikationsliste? Zumindest, wenn man den wissenschaftlichen Weg innerhalb der Universität einschlagen möchte. An Forschungszentren ist es noch ein bisschen anders, da es dort auch unbefristete Stellen ohne dieses Profil gibt. Aber auch da machen natürlich diejenigen die Karriere, die die interessanten Forschungsergebnisse veröffentlichen.

»Letztlich ist es die Politik, die über die Finanzierung das System verändern könnte.«

Welchen Einfluss haben Hochschulen auf Berufungskriterien, welchen die Politik?

Letztlich entscheidet über Berufungen eine Berufungskommission, in der die fachlichen, disziplinären Peers sitzen. Diese bewerten die wissenschaftliche Qualität der Bewerber*innen. Dabei wird die Drittmittelakquise hoch bewertet, weil sie ein Proxy für Reputation ist und eben auch einen wesentlichen Teil der Hochschulfinanzierung darstellt. Wenn eine Professor*in Geld für Stellen haben will, dann braucht er*sie Drittmittel. Und Drittmittel für Forschung werden nach wissenschaftlichen Kriterien und auch Meriten vergeben. Hier könnte man natürlich ansetzen. Die Bundesregierung könnte DFG-Zuschüsse nur noch für Projekte vergeben, die über die Forschung hinaus einen gesellschaftlichen Impact haben. Oder man könnte einen bestimmten Prozentsatz der Gelder dafür vorsehen. Das wäre schon ein einflussreicher Hebel. Letztlich ist es also die Politik, die über die Finanzierung das System verändern könnte.

 

Wobei es ja auch sehr schwierig ist, zu bestimmen, welchen gesellschaftlichen Impact ich mit meiner Forschung habe.

Ja, das ist eine komplexe Frage, die ich aber zumindest mir selbst für meine eigene Forschung beantworten sollte. Ich finde dazu z.B. die »Impact Map« aus dem »Stanford Design Lab« ein sehr schönes, einfaches Modell um den eigenen Impact zu erfassen. Im Prinzip ist das ein Koordinatensystem, bei dem auf der y-Achse die Frage steht: »Wo leistest du deinen Beitrag?« Das reicht von der individuellen über die Gruppen-, die Institutions- und nationale bis hin zur globalen Ebene. Auf der x-Achse steht auf der linken Seite »etwas erhalten« und auf der rechten Seite »etwas Neues schaffen«. Da kann man seine eigene Arbeit einordnen. Dazu kommt noch die zeitliche Dimension: Manchmal ist man sehr weit weg von irgendeiner Anwendung und forscht an einem kleinen Mosaikstück, das potenziell sehr wichtig sein könnte, aber eben erst später.

Ein anderes Tool, das ich oft am Anfang von meinen Projektmanagement-Kursen einsetze, ist das »Zielkreuz«: »Was machen wir? Was ist der Sinn und Nutzen? Was sind die Zielgruppen? Was sind die Erfolgskriterien?« Das ist natürlich schwierig zu beantworten, wenn ich als mein Ziel ausgebe: »Ich will die Welt verbessern.« Deswegen bin ich immer ein großer Freund davon, Ziele herunter zu skalieren und zu sagen: »Das große Ziel ist der Impact, den wir letztlich haben wollen. Aber unser kleines Projekt hat konkrete, kleinere Ziele, deren Wirkung wir dann auch konkret feststellen können.«

Interview: März 2020