Glossar

Die wichtigsten Begriffe der Debatte

Im Diskurs um transformative Wissenschaft werden verschiedene Begriffe verwendet, die im allgemeinen Sprachgebrauch entweder noch nicht geläufig sind oder eine andere Bedeutung haben. Da diese Begriffe wichtig sind, um die Diskussionen nachvollziehen zu können, haben wir einige davon hier für euch zusammengestellt.

Aktionsforschung (Action research): ein der transformativen Forschung verwandter Forschungsansatz, der auf die Produktion von gesellschaftlich und wissenschaftlich relevantem Wissen sowie transformativen Wandel in partizipativen Prozessen zielt.

Amateurwissenschaft (oder Citizen Science proper): Form von Citizen Science, die nicht an die Institutionen professioneller Wissenschaft gebunden ist, sondern ihren Ursprung in der Mitte der Gesellschaft hat.

Angewandte Forschung: Forschung, deren Fragestellungen einen unmittelbaren Praxisbezug aufweisen. Beispiele: Ingenieur- oder Erziehungswissenschaften. Gegensatz: Grundlagenforschung.

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE): internationale Bildungskampagne mit dem Ziel, Prinzipien nachhaltiger Entwicklung in der Bildung zu verankern und so Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln zu befähigen.

Citizen Science: Oberbegriff für Wissenschaftsformate, die unter Mithilfe interessierter Bürger*innen (Citizen Science light) oder komplett durch diese (Citizen Science proper oder Amateurwissenschaft) durchgeführt werden.

Citizen Science light: Form von Citizen Science, bei der Forschung von der professionellen Wissenschaft ausgeht und Bürger*innen für die Datenerhebung oder -auswertung eingebunden werden.

Citizen Science proper: siehe Amateurwissenschaft

Co-Design: eine Phase im transdisziplinären Forschungsprozess zur Beteiligung von Gesellschaft an Wissenschaft, bei der die wissenschaftlich zu bearbeitenden Herausforderungen und Forschungsfragen gemeinsam definiert werden.

Co-Production: eine Phase im transdisziplinären Forschungsprozess zur Beteiligung von Gesellschaft an Wissenschaft, bei der gesellschaftliche Akteur*innen mit ihren Wissensbeständen in den Prozess der Wissensproduktion einbezogen werden.

Deduktion: logisches Ableiten von Schlussfolgerungen aus allgemeingültigen Prinzipien. Gegensatz: Induktion.

Dialektik: philosophische Methode, die eine Position durch gegensätzliche Behauptungen infrage stellt und durch das Zusammenführen von These und Antithese eine Erkenntnis höherer Art zu gewinnen sucht.

Drittmittel: Gelder, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen außerhalb der Grundfinanzierung zufließen, zum Beispiel vom Staat, von Stiftungen oder aus der Wirtschaft.

Effizienz: Strategie zur Verringerung des Ressourcenverbrauchs durch eine ergiebigere Nutzung von Rohstoffen und Ressourcen, häufig durch technische Innovationen. Häufig ergänzend zu Konsistenz und Suffizienz gesehen.

Empirismus: im 17. Jahrhundert entwickelte Erkenntnistheorie, die die Natur- und Sozialwissenschaften bis heute stark prägt. Zentrale Annahme ist, dass wahre Erkenntnis nur durch Sinneswahrnehmung (direkt oder unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Instrumente) gewonnen werden kann. Typische Schritte der empirischen Methode sind die Formulierung einer Forschungsfrage, das Aufstellen von Hypothesen und sich daraus ergebenden Vorhersagen, das experimentelle Testen dieser Vorhersagen sowie die Analyse der dabei gemachten Beobachtungen im Hinblick auf die Hypothesen.

Falsifikationismus: von Karl Popper begründete Wissenschaftstheorie, wonach Wissen nie als sicher angesehen werden kann, sondern immer vorläufig und damit prinzipiell widerlegbar ist. Da allgemeine Gesetze Aussagen über eine unendliche Menge von Objekten machen, können sie prinzipiell nicht durch eine endliche Menge von Beobachtungen verifiziert, aber bereits durch eine einzige Beobachtung widerlegt werden.

Globaler Norden: siehe Globaler Süden

Globaler Süden: alle Länder in Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik, die gemäß Weltbank ein niedriges oder mittleres Einkommen aufweisen. Alle anderen Länder gehören zum Globalen Norden. Die Begriffe Norden und Süden sind nicht zwingend geografisch zu verstehen. Der Ausdruck wird heute anstelle der früher geläufigen Begriffe Dritte Welt oder Entwicklungsländer verwendet, da er weniger hierarchisch ist.

Governance: Steuerungs- und Regelungssystem einer politischen Einheit. Das Konzept ist in Abgrenzung zum Begriff Government (Regierung) entstanden und soll ausdrücken, dass politische Steuerung nicht nur hierarchisch vom Staat, sondern auch von privaten Akteuren wie Verbänden wahrgenommen wird. Siehe auch Institutionen.

Große Transformation: umfassender Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der zur Bewältigung der vielfältigen ökologischen und sozialen Krisen unserer Zeit nötig ist. Im Deutschen wird auch oft von sozial-ökologischer Transformation gesprochen, um die gewünschte Richtung der Transformation besser zum Ausdruck zu bringen.

Grundfinanzierung: Gelder, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom Staat erhalten, ohne dass sie sich (zum Beispiel im Rahmen von Ausschreibungen) darauf bewerben müssen.

Grundlagenforschung: Forschung, die nicht auf unmittelbare praktische Anwendung der Ergebnisse abzielt. Beispiele: Theoretische Physik, Geschichtswissenschaft. Gegensatz: Angewandte Forschung.

h-Index: Ein*e Wissenschaftler*in hat einen Index h, wenn h seiner*ihrer N Paper mindestens h-mal und die anderen (N-h) Paper weniger als h-mal zitiert wurden.

Induktion: Verallgemeinerung einzelner Beobachtungen zu generellen Gesetzen. Gegensatz: Deduktion.

Institutionen: umfasst sowohl feste Einrichtungen wie Hochschulen oder Forschungsinstitute als auch das Ordnungs- und Regelsystem, das das Verhalten und Handeln in diesen formt, wie das Reputationssystem. Siehe auch Governance.

Interdisziplinarität: Zusammenarbeit mehrerer Einzelwissenschaften, die eine wissenschaftliche Frage mit ihren eigenen Methoden zu beantworten versuchen. Dabei tauschen sich die Disziplinen auch über ihre Methoden aus und führen verschiedene Teilaspekte zusammen, was im Idealfall zu neuen Lösungsstrategien führt.

Impact-Faktor: Der Impact-Faktor einer Zeitschrift gibt an, wie oft ein in dieser Zeitschrift veröffentlichter Artikel durchschnittlich pro Jahr zitiert wird.

Konsistenz: Strategie zur Verringerung des Ressourcenverbrauchs durch alternative Technologien und Stoffe, die besser im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen sind als bisherige. Zudem wird versucht, Kreisläufe von der Herstellung über Nutzung und Recycling bis zur Wiedernutzung zu schließen. Häufig ergänzend zu Effizienz und Suffizienz gesehen.

Kritische Theorie: Gesellschaftstheorie, die gesellschaftliche Machtstrukturen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ideologiekritisch aufzeigen und analysieren will. Zentral ist dialektisches Denken. Gegensatz: Traditionelle Theorie.

Mittelbau, akademischer: wissenschaftliches Personal, das keinen Lehrstuhl innehat.

Multi-Criteria Decision Analysis (MCDA): Methode, bei der verschiedene Handlungsoptionen im Hinblick auf unterschiedliche Kriterien bewertet werden.

Multidisziplinarität: Mehrere Disziplinen bearbeiten parallel innerhalb eines Projekts eine wissenschaftliche Fragestellung, ohne dass es zu einem nennenswerten methodischen Austausch kommt. Erst wenn Ergebnisse vorliegen, werden diese kombiniert.

Nachhaltigkeit: In der schwachen Form gelten Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt als drei gleichberechtigte Säulen, wobei sich die drei Bereiche perfekt durch einander ersetzen lassen. In der starken Form ist die Wirtschaft nur ein Teil der gesamten Gesellschaft, die wiederum in das ökologische System eingebettet ist. Wird die Umwelt geschädigt, beeinträchtigt das die Funktion der Gesellschaft und letztlich auch der Wirtschaft.

Neoliberalismus: im 20. Jahrhundert entstandene Richtung der Volkswirtschaftslehre, die eine freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung mit minimalen staatlichen Eingriffen anstrebt. Von zentraler Bedeutung sind unter anderem Deregulierung, Privatisierung und Freihandel.

Open Access: freier Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und anderen Materialien, meist im Internet. Um das zu erreichen, gibt es verschiedene Modelle. Bei der Green Route wird der konventionell publizierte Artikel parallel auf einem Dokumentenserver (repository) veröffentlicht, was von vielen Verlagen geduldet wird (manchmal erst nach einer Sperrfrist von einigen Monaten). Bei der Gold Route findet die Publikation in einer reinen Open-Access-Zeitschrift statt. Im Unterschied zu herkömmlichen Zeitschriften finanzieren sich diese nicht über Lesegebühren, sondern über Publikationsgebühren (einige Tausend Euro pro Artikel), die die Autor*innen oder deren Institutionen tragen.

Partizipation: in diesem Kontext die Beteiligung nichtakademischer Akteur*innen an Prozessen der professionellen Wissenschaft.

Peer-Review: Verfahren der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle, bei dem eine Arbeit von Kolleg*innen begutachtet wird, die (häufig, aber nicht zwingend) derselben Disziplin angehören.

Positivismus: mit dem Empirismus verwandte philosophische Strömung, wonach sicheres Wissen nur durch Sinneswahrnehmungen, Logik und Verstand erzeugt werden könne. Selbstbeobachtung und Intuition werden ebenso abgelehnt wie Metaphysik und Theologie, da deren Aussagen nicht durch Sinneswahrnehmungen belegt werden können. Werte werden als etwas rein Subjektives verstanden.

Publish or perish: Floskel, um den informellen Druck auf Wissenschaftler*innen zu beschreiben, ihre Ergebnisse in möglichst vielen Artikeln und in möglichst angesehenen Journals zu veröffentlichen, um ihr Ansehen zu steigern.

Qualitative Methoden: Erhebung und Auswertung nicht standardisierter Daten.

Quantitative Methoden: numerische Erhebung empirischer Sachverhalte.

Reallabor: räumlich abgegrenzter gesellschaftlicher Kontext, um Nachhaltigkeitsexperimente durchzuführen, Transformationsprozesse anzustoßen und wissenschaftliche wie gesellschaftliche Lernprozesse zu verstetigen. Damit sind Reallabore wichtige Formate transformativer Wissenschaft.

Reproduktion, akademisch: umfasst die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs und die Kriterien, nach denen Professuren und andere Schlüsselpositionen innerhalb des Wissenschaftssystems besetzt werden.

Reputationssystem, akademisch: Kriterien, die über das Ansehen von Wissenschaftler*innen bestimmen. Gegenwärtig vor allem akademische Veröffentlichungen und die Summe eingeworbener Drittmittel.

Scientific Literacy: Grundverständnis wissenschaftlicher Abläufe und Erkenntnisprozesse.

Service Learning: Lehrform, die gesellschaftliches Engagement der Lernenden mit fachlichem Lernen im Unterricht verbindet.

Sozial-ökologische Transformation: siehe Große Transformation

Suffizienz: Strategie zur Verringerung des Ressourcenverbrauchs durch eine verringerte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Suffizienz versucht also nicht, bestehende Bedürfnisse mit weniger oder anderem Ressourcenaufwand zu befriedigen, sondern hinterfragt die Bedürfnisse selbst. Häufig ergänzend zu Effizienz und Konsistenz gesehen.

Sustainable Development Goals (SDGs): 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die Vereinten Nationen bis 2030 erreichen wollen.

Systemwissen: Wissen darüber, was ist. Es erklärt den Zustand und das Funktionieren der Welt. Beispiel: Wissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge im Klimasystem der Erde. Siehe auch Zielwissen und Transformationswissen.

Tenure-Track: Verfahren in akademischen Laufbahnen an Hochschulen, bei dem nach einer befristeten Bewährungszeit eine Stelle auf Lebenszeit in Aussicht steht.

Traditionelle Theorie: positivistisch geprägte Wissenschaft, die gesellschaftliche Fakten lediglich beschreibt und erklärt, aber nicht kritisch im Hinblick auf zugrunde liegende Macht- und Herrschaftsverhältnisse hinterfragt. Gegensatz: Kritische Theorie.

Transdisziplinarität: interdisziplinärer Forschungsansatz, bei dem akademische und nichtakademische Akteur*innen mit dem Ziel zusammenarbeiten, Ergebnisse zu erzielen, die zum wissenschaftlichen Erkenntnisprozess beitragen und zugleich einem gesellschaftlichen Diskurs standhalten. Ein zentrales Anwendungsfeld sind Fragen nachhaltiger Entwicklung.

Transformation: weitreichende Prozesse gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Wandels. Häufig synonym mit Transition verwendet, vor allem im Englischen. Siehe auch Große Transformation.

Transformationsforschung: zumeist interdisziplinäre Forschung, die hilft, die Merkmale, Hemmnisse und Treiber von Transformationen hin zu einer nachhaltigen Entwicklung besser zu verstehen.

Transformationswissen: Wissen darüber, wie wir vom Ist- zum Soll-Zustand gelangen. Es beschreibt Strategien, wie gesellschaftliche Wandlungsprozesse gestaltet werden können. Siehe auch Systemwissen und Zielwissen.

Transformative Forschung: bringt sich im Gegensatz zu Transformationsforschung, die Transformationsprozesse von außen beschreibt, aktiv in Veränderungsprozesse ein und wirkt so selbst transformativ.

Transformative Institutionen: Wandel, der die Errichtung von transformativ wirkenden Institutionen sowie die Transformation von individuellen, institutionellen und systemischen Aspekten des Wissenschaftssystems umfasst.

Transformative Lehre: verbindet Wissen über die Welt mit individuellen Transformationserfahrungen und Persönlichkeitsentwicklung im Sinne von transformativem Lernen.

Transformatives Lernen: auf der individuellen Ebene ein tiefgreifender Bewusstseinswandel, der unser Verständnis von uns selbst sowie von unseren Beziehungen zu anderen Menschen und zur Natur berührt. Zielt neben individueller Entwicklung auch darauf ab, Lernende zu Akteur*innen des Wandels zu befähigen.

Transformative Literacy: Fähigkeit, Transformationsprozesse in ihrer Vieldimensionalität zu verstehen und eigenes Handeln in entsprechende Prozesse einzubringen.

Transformative Wissenschaft: eine Wissenschaft, die Veränderungsprozesse nicht nur beobachtet, sondern sie zusammen mit gesellschaftlichen Akteur*innen aktiv anstößt und begleitet und dabei auf ein verbessertes Verständnis dieser Prozesse abzielt. Sie setzt sich damit für Wandel im Sinne einer Großen Transformation ein. Sie umfasst die drei Dimensionen transformative Forschung, transformative Lehre und transformative Institutionen.

Transition: Im Gegensatz zum gesamtgesellschaftlichen Ansatz der Transformationsanalysen geht es bei Transitionen zumeist um den Wandel von Teilsystemen wie Energie oder Mobilität. Häufig synonym mit Transformation verwendet, vor allem im Englischen.

Wissenschaft: umfasst in diesem Kontext sowohl Forschung als auch Lehre, die nach Regeln und Konventionen ablaufen, über die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Konsens besteht. In der Alltagssprache meint der Begriff häufig auch die Gesamtheit der wissenschaftlichen Institutionen und der darin tätigen Wissenschaftler*innen.

Wissenschaftsladen: Einrichtung, die den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft fördert, indem sie Bürger*innen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ermöglicht und gesellschaftliche Themen an die Wissenschaft heranträgt.

Wissensintegration: Zusammenführen von unterschiedlichen Wissensbeständen, zum Beispiel von akademischem Wissen und von Erfahrungswissen.

Zielwissen: Wissen darüber, was sein und was nicht sein sollte. Es entwirft Visionen, wie wir in Zukunft zusammenleben möchten. Beispiel: Sustainable Development Goals. Siehe auch Systemwissen und Transformationswissen.

Zivilgesellschaft: umfasst sowohl die breite Öffentlichkeit, also einzelne Bürger*innen, als auch organisierte Interessengruppen wie zivilgesellschaftliche Organisationen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO): freiwillige, nicht gesetzlich vorgesehene Interessengruppen mit häufig gemeinnützigem Charakter, die projektunabhängig über längere Zeit bestehen. Beispiele: Umwelt- und Sozialverbände, Gewerkschaften oder Kirchen.