Im Gespräch mit

Jens Pape

Professor für Nachhaltige Unternehmensführung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Eberswalde

Lieber Jens, was macht transformative Wissenschaft für dich aus?

Letztendlich geht es darum, gesellschaftliche Umbauprozesse durch ökologische, durch technische, aber auch durch soziale Innovationen anzustoßen. Das ist notwendig, um den Herausforderungen, denen wir gerade gegenüberstehen, gerecht werden zu können. Damit einher geht der zweite Aspekt von transformativer Wissenschaft, dass sich das Wissenschaftssystem als solches auch entsprechend ändern muss, um solche Umbauprozesse zu unterstützen. Es geht darum, wie es die Wissenschaft schaffen kann, gesellschaftliche Impulse auszulösen und sehr viele Akteur*innen mitzunehmen, vor allem auch die Zivilgesellschaft zu beteiligen. Mir gefällt in dem Kontext das Bild eines Katalysators gut, also dass man unterstützt, beschleunigt, dass solche innovativen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse umgesetzt werden können.

Jens Pape ist Professor für Nachhaltige Unternehmensführung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Er forscht unter anderem dazu, wie Wissenstransfer und Kooperation zwischen Wissenschaft und gesellschaftlichen Akteur*innen gelingen können.

In welcher Form bindet ihr an der Hochschule Praxisakteur*innen in eure Arbeit ein?

Das Thema der transformativen Wissenschaft ist bei uns sehr präsent, weil wir als Hochschule für nachhaltige Entwicklung sehen, dass diese Transformationen oder der Wissenschafts-Praxis-Transfer nur durch einen Austausch mit den Akteur*innen funktionieren kann. Insofern haben wir eine Transferstrategie entwickelt, mit der wir versuchen, diese Kooperation auf Augenhöhe mit den unterschiedlichsten Akteur*innen zu entwickeln. Das haben wir nicht alleine gemacht, sondern mit dem Transferbeirat, in dem unsere wichtigsten Partner*innen aus der Praxis vertreten sind.

Am Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz, an dem auch unsere Ökolandbau-Studiengänge angesiedelt sind, wurde beispielsweise das InnoForum Ökolandbau Brandenburg gegründet, wo wir seit 2004 ein Netzwerk mit den Akteur*innen der Wertschöpfungskette der ökologischen Agrar- und Ernährungswirtschaft aufgebaut haben, also vom kleinen landwirtschaftlichen Betrieb über für Ostdeutschland typische landwirtschaftliche Großbetriebe bis hin zu Bio Company, Märkisches Landbrot, Verbänden. Mit diesem Netzwerk gestalten wir zum einen unsere Lehre, indem unterschiedliche Akteur*innen in projektorientierten Modulen zusammen mit Studierenden und Dozierenden an konkreten Fragestellungen aus der Praxis arbeiten. Das Modul Projekt Studienpartner Ökobetrieb wurde beispielsweise dafür 2017 mit dem ars legendi Preis für exzellente Hochschullehre vom Stifterverband ausgezeichnet. Zum anderen entwickeln wir auch Forschungsfragen und Anträge mit den Betrieben, mit der Wertschöpfungskette zusammen. Viele Förderprogramme machen das inzwischen möglich, wie EIP oder auch Ausschreibungen im BÖLN.

 

Diese gemeinsame Problemfindung ist ein ganz zentraler Punkt, der aber beispielsweise in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen fast nicht vorkommt.

Vielleicht haben Forscher*innen ein Problem im Hinterkopf, das gelöst werden soll. Aber ich finde es wichtig und zentral, dass möglichst rasch Anknüpfungspunkte und Umsetzungsmöglichkeiten auf dem Weg dorthin gefunden und alle Beteiligten mitgenommen werden. Dass also nicht einfach gedacht wird: Ich habe das Ziel und jetzt löse ich das Problem auf »meinem« akademischen Weg. Oft gibt es ja viele Wege, um ein Problem zu lösen. Vielleicht muss manchmal auch einen Umweg gegangen werden, um letztlich das Problem mit den beteiligten Akteur*innen zusammen zu lösen. Dann funktioniert auch die Umsetzung.

»Kommunikation auf Augenhöhe ist immer so ein schönes Bild. Aber alleine schon die gleiche Sprache zu finden, sich gegenseitig klarzuwerden, was man für Ziele hat und wo es hingehen soll, das ist nicht ganz einfach.«

Was ist wichtig, damit Kooperation auf Augenhöhe gelingt?

Wichtig ist zunächst, die geeignete Zusammensetzung zu finden, also dass man die relevanten Akteur*innen am Tisch hat und von Anbeginn versucht, eine gemeinsame Sprache zu finden und das Ziel gemeinsam zu entwickeln. Das dauert am Anfang einen Moment und da muss man investieren. Kommunikation auf Augenhöhe ist immer so ein schönes Bild. Aber alleine schon die Kommunikation, also die gleiche Sprache zu finden, sich gegenseitig klarzuwerden, was man für Ziele hat und wo es hingehen soll, das ist nicht ganz einfach. Dieses partizipative Vorgehen erfordert ein hohes Maß an Prozesskompetenz.

 

Welche Rolle spielt die Moderation, also Personen, die idealerweise sowohl die Welt der Wissenschaft als auch die der Praxis kennen?

Ich glaube, das hängt sehr stark von der Disziplin ab. In meinem Tätigkeitsbereich haben wir den Vorteil mit Branchenbezug, nämlich zu Bio-Lebensmitteln, zu arbeiten – das ist etwas ganz Konkretes, Abgegrenztes und Greifbares, wozu viele Akteur*innen einen natürlichen Hintergrund haben. Trotzdem übersetzt unsere Koordinatorin auch viel. Wenn wir zum Beispiel bei den Betrieben abfragen, wo zu bestimmten Überbegriffen Forschungsbedarf besteht, dann fällt es den Praxispartner*innen oft nicht leicht, zu sagen: Das ist eine Projektarbeit für zwei Studierende oder eine Masterarbeit oder eigentlich müsste man dazu einen ganzen Forschungsantrag stellen. Sie können also nicht einschätzen, wie wir das in unserem Wissenschaftssystem bearbeiten können. Da braucht es Übersetzer*innen oder Vermittler*innen, die das dann zusammenfügen.

»Ich glaube, dass diese Praxisanbindung ab dem zweiten Semester plus Praxissemester als Pflichtmodul plus andere Module, in denen wir stark transdisziplinär arbeiten, auch Gründe sind, warum Studierende zu uns kommen.«

In euren Projekten geht es um ökologische Landwirtschaft und damit um einen Sektor, dessen Akteur*innen dem Thema einer nachhaltigen Entwicklung vermutlich sehr offen gegenüberstehen. Wie erreicht ihr Akteur*innen, für die das nicht gilt?

Wir sind uns bewusst, dass eine Ernährungs- und Agrarwende nur gelingen kann, wenn man den Ökolandbau ausdehnt, aber auch den konventionellen Bereich ökologisiert. Man muss also die beiden Stränge zusammenführen und beide müssen auch ein Stück weit voneinander lernen. Da stellt sich bei uns tatsächlich die Frage, wie man mit landwirtschaftlichen Großbetrieben in Brandenburg zusammenkommt und wie man diese ökologisieren kann. Wie kommt man da zu Nachhaltigkeitsstrategien und anderen Wirtschaftsformen, die unter den derzeitigen Rahmenbedingungen funktionieren? Das ist schon ein sehr spannendes Thema. Im InnoForum arbeiten wir vorrangig mit ökologisch wirtschaftenden Unternehmer*innen, sind aber auch offen für konventionelle Betriebe, die sich auf den Weg machen möchten. Es gibt zum Beispiel Projekte am Fachbereich, wo wir ganz bewusst auf den kollegialen Austausch setzen – etwa im Rahmen der Cropping School, hier findet ein Austausch sozusagen über die »Zertifizierungsgrenzen« statt. Hier dreht sich alles um die ackerbauliche Praxis in der Nordwestuckermark.

 

Wie vermittelt ihr Studierenden die Kompetenzen, die man für die Arbeit mit Praxisakteur*innen braucht, zum Beispiel diese Übersetzungsfähigkeit oder Offenheit gegenüber anderen Menschen, sich auf deren Denk- und Sprechweisen einzulassen?

Das Klassische ist, unser Praxissemester zu nutzen oder eine Qualifizierungsarbeit in einem Betrieb oder mit einem Unternehmen zu schreiben. Damit fangen wir schon früh in den Bachelorstudiengängen an, dass wir Teamarbeitskurse machen und sehr großen Wert auf die Arbeit in Gruppen legen. Wir haben zudem im Bachelor ein Modul (Modul Studienpartner Ökobetrieb), in dem die Studierenden einmal pro Woche im Betrieb sind und dort in Kleingruppen mitarbeiten, aber auch mit dem Betrieb zusammen an einem kleinen Projekt arbeiten. Das sind Fragestellungen, an denen die Studierenden arbeiten und die auch tatsächlich dem Betrieb unmittelbar helfen. Seitens der Hochschule schauen wir, dass irgendwo auch ein wissenschaftlicher Aspekt dabei ist, aber dass auch der unmittelbare Nutzen für die Praxispartner*innen im Ergebnis da ist. Dieses Modul zieht sich über ein Semester komplett durch. Wir versuchen also, wo immer es geht, Praxis und Ausbildung gewinnbringend für beide Seiten zu verschneiden.


Wie sind die Rückmeldungen der Studierenden zu diesen Praxismodulen?

Ich glaube, dass diese Praxisanbindung ab dem zweiten Semester plus Praxissemester als Pflichtmodul plus andere Module, in denen wir stark transdisziplinär arbeiten, auch Gründe sind, warum Studierende zu uns kommen. Wichtig ist dabei, auch unserem akademischen Anspruch als Hochschule gerecht zu werden. Da stellt sich immer die Frage: Wie weit ist etwas praxisrelevant und wie weit muss ich auch akademische Fragestellungen bearbeiten? Das ist ein Aushandeln: Ja, wir haben einen wissenschaftlichen Anspruch, um aus dem, was dort passiert, auch Allgemeingültiges abzuleiten und auf andere Betriebe oder auf andere Anwendungen zu übertragen.

»Mein Rat wäre, sich umzuschauen: Wo möchte ich mich im weiten Feld des Nachhaltigkeitsdiskurses positionieren und engagieren?«

Wie findet ihr die Balance zwischen der Einbeziehung von Praxisakteur*innen und eurer eigenen akademischen Arbeit? Zu viel Beteiligung kann Prozesse ja auch verlangsamen.

Oft ist es ein Entwicklungsprozess: Man merkt beispielsweise durch solche Projekte, dass bestimmte Themen gerade sehr viele Praktiker*innen beschäftigen und dass dazu Handlungsbedarf besteht. Diese Themen kann man dann erst mal durch solche Formate bedienen. Daraus leiten sich dann vielleicht weitere, größere Forschungsfragen ab, für die man dann wieder andere Akteur*innen integriert. In vielen Fällen ist das ein Prozess, in dessen Verlauf die beteiligten Akteur*innen wechseln.


Was möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Die transformative Wissenschaft wird von ganz vielen unterschiedlichen Akteur*innen vorangetrieben. Das ist zum einen die Zivilgesellschaft, das sind Pionier-Hochschulen, das sind bestimmte Institutionen. Auch studentische Initiativen sind ganz wichtige Akteur*innen in diesem Feld, die das Thema aufgreifen und dort aktiv sind. Und insofern wäre mein Rat, sich umzuschauen: Wo möchte ich mich im weiten Feld des Nachhaltigkeitsdiskurses positionieren und engagieren? Wo finde ich Anknüpfungspunkte, Organisationen, studentische Initiativen oder allgemein Initiativen, die sich des Themas annehmen? Dort kann man den Blickwinkel durch Kooperation mit unterschiedlichen Einrichtungen wechseln und einen diversen Blick auf das Thema bekommen. Ich finde, dass die Zeit im Studium da sehr viele Möglichkeiten bietet. Das geht nachher im Arbeitsalltag nicht mehr so einfach. Nutzt also wirklich diese Zeit, um euch zu vernetzen. Das ist etwas, was ich selbst während meiner Promotion gemacht habe und bis heute sehr fruchtbar finde.

Interview: Mai 2020