Im Gespräch mit

Joachim Spangenberg

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

Lieber Joachim, du bist Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats des BUND. Was ist die Aufgabe dieses Beirats und was macht ihn so besonders?

Der BUND ist derjenige der großen deutschen zivilgesellschaftlichen Verbände, der sich am stärksten auf eine wissenschaftliche Grundlage bezieht. Das ist historisch so gewachsen, und es ist etwas, worauf wir sehr stolz sind. In unseren 20 Arbeitskreisen arbeiten über 500 Expert*innen an den Grundpositionen des Verbands. Die Arbeitskreise bestehen aus fachkundigen Menschen, wobei Fachkunde sowohl akademische als auch lebensweltliche Fachkunde umfasst. In den meisten Arbeitskreisen sitzen Leute ohne akademischen Titel und ohne Publikationslisten, die aber oft durch ihr Praxiswissen zu einem konkreten Projekt mehr beisteuern können als die Akademiker*innen, neben Hochschulprofessor*innen und Wissenschaftler*innen aus öffentlichen und privaten Forschungsinstituten. Durch diese Grundstruktur haben wir schon einen wichtigen ersten Schritt zur Wissensintegration getan.

Die Sprecher*innen der Arbeitskreise bilden zusammen mit einer Jugendvertretung den Wissenschaftlichen Beirat. Jede Position des BUND wird in diesem Beirat beraten und verabschiedet. Positionsentwürfe aus den Arbeitskreisen werden also interdisziplinär von verschiedensten Seiten gegengelesen und für gut befunden, manchmal auch nach mehreren Überarbeitungsschleifen. So entsteht am Ende ein Papier, das sowohl inter- als auch transdisziplinär erarbeitet und evaluiert worden ist. Ich kenne keine andere Institution in Deutschland, die das in ihren Verfahren schon so grundsätzlich verankert hat.

Joachim Spangenberg hat Biologie und Ökologie studiert und in Ökonomie promoviert. Aktuell ist er Vize-Präsident am Sustainable Europe Research Institute (SERI) in Köln. Ehrenamtlich ist er seit Jahrzehnten unter anderem in verschiedenen Arbeitskreisen des BUND aktiv und seit 2020 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des BUND.

Was macht für Wissenschaftler*innen den Reiz aus, dass sie ihre Freizeit dafür aufbringen, in den Arbeitskreisen des BUND aktiv zu sein?

Ich denke, das ist ganz normales zivilgesellschaftliches Engagement. Ich selbst habe mich immer für gesellschaftliche Prozesse interessiert und mich gefragt, wo ich das, was ich gelernt habe, so einbringen kann, dass etwas politisch Sinnvolles daraus wird. Das kann ich nicht unbedingt in einem Forschungsinstitut tun, und das ist auch nicht die Aufgabe von Forschungsinstituten. Aber wenn ich dieses Wissen beim BUND einbringe, kann ich hoffen, dass dadurch meine Anliegen vertreten werden. Der BUND ist kein Forschungsinstitut, aber fungiert als Mittler zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Akteuren. Das können wir besser als ein Forschungsinstitut und da können wir ein Angebot machen, das es auch für Wissenschaftler*innen interessant macht, beim BUND mitzuarbeiten.

Das zweite ist, dass wir auch Dinge produzieren, die es sonst nicht gibt. Wir haben jetzt gerade eine Bewertung des IPCC-Reports zu 1,5 Grad erstellt. Dabei konnten wir zeigen, dass das, was da als Empfehlungen formuliert wird, ökologisch unverträglich ist und vieles, was ökologisch verträglich ist, nicht drinsteht. Wir konnten auch zeigen, dass nach der Hintergrundliteratur des IPCC-Reports die Szenarien, die zu 1,5 Grad führen, davon ausgehen, dass es zu einem Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts in Osteuropa, China, Japan und in den meisten Szenarien auch in Westeuropa kommt. Das heißt, sie haben Degrowthszenarien erstellt, haben das aber im Bericht nirgendwo erwähnt. Wer sonst hätte den IPCC-Bericht in seinen Annahmen oder Aussagen so untersuchen können, wie wir das aus den verschiedenen Fachrichtungen gemacht haben? So haben wir durch das Zusammentragen von Sachen, die nicht neu waren, ein neues Gesamtbild geschaffen. Das ist inzwischen Grundlage für eine Diskussion im UBA gewesen, in internationale Forschungsprojekte eingeflossen und die englische Fassung erscheint demnächst in einem amerikanischen wissenschaftlichen Journal. Das sind ganz spannende Dinge, die man sonst nirgendwo in der Form macht.

 

Welche Forderungen würdest du aus zivilgesellschaftlicher Perspektive im Hinblick auf die Förderung einer transformativen und transdisziplinären Wissenschaft formulieren?

Transdisziplinarität erfordert, dass grundsätzlich andere Forschungsfragen gestellt werden, als dies im konventionellen Wissenschaftsbetrieb gerade geschieht. Diese Forschungsfragen sind im bisherigen System aus BMBF, das sich auf Exzellenzforschung konzentriert, und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG), die Selbstverwaltung betreibt, sowie den wissenschaftlichen Gesellschaften, die jeweils ihre eigenen Themen haben, nicht wirklich gut unterzubringen. Deswegen braucht es ein weiteres Bein der Forschungslandschaft, in welchem aus der Zivilgesellschaft, die ja in der transdisziplinären Forschung vertreten sein soll, auch die Fragestellungen definiert werden. In sehr vielen Bereichen wird es so sein, dass diese Fragestellungen noch nie von der Wissenschaft aufgegriffen worden sind. Für diese Fragen müsste das entsprechende Budget zur Verfügung stehen. Zudem wäre es notwendig, dass dafür entsprechende eigene Qualitätskontrollmechanismen entwickelt werden. Qualitätskontrolle muss sein, aber nicht nach den Kriterien der DFG oder des Wissenschaftsrats, weil die Kriterien anlegen, die diesen Aufgabenstellungen nicht angemessen sind.

Ein zweiter Punkt ist, dass es in der Forschungslandschaft ja durchaus Partizipation der Gesellschaft gibt, nämlich der Wirtschaft. Das ist meines Erachtens legitim, wenn es um Forschungsprogramme geht, die ja für die Gesellschaft nützlich sein sollen. An der Stelle ist das Problem, dass es eben nur die Wirtschaft ist, die vertreten ist. Da müsste eine breitere Repräsentanz erfolgen. Noch viel mehr Leute als auf der Programmebene sitzen jedoch auf der Projektebene, weil jedes Programm eine ganze Vielzahl von Projekten umfasst. Da saßen in der Vergangenheit auch immer wieder Vertreter*innen der Wirtschaft in den Gutachterausschüssen und Beiräten der Projekte. Hier macht es keinen Sinn, dass jetzt alle gesellschaftlichen Organisationen in allen Projekten dabei sein sollten. Das wäre ein Aufblähen, das mit wissenschaftlicher Arbeit kaum noch zusammenginge. Vielmehr geht es darum, dass die Wirtschaft da raus muss. Wenn das Programm so gestrickt ist, dass die Interessen der Gesellschaft mit vertreten sind, dann sollten die Projekte wissenschaftlich sauber sein und im Hinblick darauf begutachtet werden. Da nochmal zusätzlich wirtschaftlichen Einfluss reinzubringen ergibt keinen Sinn. Das sind die zwei wichtigen Punkte: einerseits ein weiteres Standbein schaffen und zum zweiten dafür sorgen, dass Wissenschaft auch wieder echte Wissenschaftsfreiheit hat. Denn im Augenblick ist Wissenschaft zwar nicht weisungsgebunden, aber projektmittelabhängig und damit käuflich.

»Der BUND ist kein Forschungsinstitut, aber fungiert als Mittler zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Akteuren. Das macht es auch für Wissenschaftler*innen interessant, beim BUND mitzuarbeiten.«

Was sind deiner Erfahrung nach typische Hindernisse und Stolperfallen bei der Partizipation von zivilgesellschaftlichen Partnern in transdisziplinären Projekten?

Die Wissenschaft versucht häufig, zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs) in Prozesse einzubinden, die zunächst einmal der Wissenschaft und ihrem Erkenntnisgewinn dienen, ohne jemals zu fragen: Was haben denn eigentlich die ZGOs davon? Was das ist, hängt auch damit zusammen, womit sich die ZGOs gegenüber ihren eigenen Mitgliedern legitimieren. In der Regel dadurch, dass sie bestimmte politische Interessen durchsetzen, zum Beispiel Schutzmaßnahmen für die Umwelt im Fall des BUND, oder soziale Schutzmaßnahmen bei anderen Verbänden. Wenn die ZGOs nun ihre Zeit in Dialoge investieren, ohne dass dabei entsprechende Erfolge für ihre eigenen Ziele herauskommen, dann machen sie sie sich gegenüber ihrer eigenen Basis unglaubwürdig. Deswegen muss diese Abwägung bei allen ZGOs passieren, ob denn die Mitwirkung entsprechend etwas bringt. Das kann auf zwei Arten geschehen. Die eine kann sein, dass man die Mitarbeit nicht mehr wie bisher ehrenamtlich einfordert, sondern das als Arbeitszeit wertet und entsprechend bezahlt. Dann wäre es quasi eine Dienstleistung, die man in so ein Projekt einbringt, von der man keine eigenen Kosten hat, sondern vielleicht sogar noch einige Einsichten gewinnt.

Die andere Möglichkeit ist, dass das Projekt nicht nur zum Nutzen der Wissenschaft gestaltet wird, sondern dass man die Forschungsfragen so formuliert, dass die Fragen oder die Antworten darauf auch der Zivilgesellschaft von Nutzen sind. Das haben wir einmal in einem Forschungsantrag durch eine Turning-the-Tables-Übung umgesetzt. Dabei stand die Anfangsphase unter der Leitung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die gemeinsam definierten: Was erwarten wir eigentlich von der Wissenschaft? Die Wissenschaftler*innen mussten dabei erst einmal zuhören. Normalerweise fragen ja die Wissenschaftler*innen: Was wollen wir von der Gesellschaft? Nun war es umgekehrt, und die Wissenschaft musste dann darauf antworten, was sie für diese Fragen zu bieten hat und wo sie neu nachdenken müsste. Durch so ein Verfahren können sich ganz spannende neue Forschungsfragen ergeben. Turning the tables hat also viel damit zu tun, wer die Hoheit über die Definition der Forschungsfragen hat. Und sie hat auch damit zu tun, wer kompetent genug ist, auf Fragen der Zivilgesellschaft zu antworten und solche Prozesse diskursiv durchzustehen. Denn ich sehe bisher in der akademischen Ausbildung an den deutschen Hochschulen nicht, dass zukünftige Wissenschaftler*innen darauf vorbereitet würden, transdisziplinär mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu arbeiten, ihr Wissen als einen Bestandteil eines größeren Ganzen zu betrachten, zu versuchen, das in andere Zusammenhänge zu integrieren und mit der nötigen Bescheidenheit als ein Mensch im Team mitzuarbeiten, statt als Verkünder*in der Wahrheit.

 

Du hast auch in vielen transdisziplinären Projekten im internationalen Kontext mitgearbeitet. Inwiefern wird der Prozess komplexer oder vielleicht auch bereichert, wenn interkulturelle Aspekte dazukommen?

Ich glaube, dass die Nord-Süd-Zusammenarbeit weniger das Problem ist als die Zusammenarbeit von Leuten, die verschiedene Framings für ihre wissenschaftliche Arbeit heranziehen. Interessant ist nämlich, dass gerade die erfahreneren Wissenschaftler*innen häufig kaum Probleme haben, untereinander zwischen Nord und Süd zusammenzuarbeiten, weil sie alle eine ähnliche Sozialisation in Richtung einer westlich geprägten wissenschaftlichen Ausbildung durchlaufen haben. Spannend wird es, wenn Leute dabei sind, die auch das nicht-akademische Wissen einbringen wollen, also das Wissen von Indigenen, von Bauern vor Ort und Ähnliches. Das war für viele eine Herausforderung. Da sind sich Leute, die fachlich fit sind, aber aus einem anderen Framing kommen, manchmal fremder als diejenigen, die aus einem ganz entfernten Land kommen, aber einen ähnlichen Sozialisationsprozess durchlaufen haben. Insofern hängt viel davon ab, dass man die Notwendigkeit einer Wissensintegration einsieht.

Aber selbst, wenn das geschehen ist, muss man erst lernen, wie man solche anderen Wissensformen überhaupt aufgreifen kann. Selbst die, die es grundsätzlich für richtig halten, dass Wissenschaft problemlösend sein soll, haben meistens nicht gelernt, wie man Forschungsfragen im gesellschaftlichen Kontext formuliert und dann auch bearbeitet. Methoden sind die starke Seite der Wissenschaft. Mangelnde Methodenkenntnis in anderen Disziplinen als der eigenen kann aber auch ein großes Hindernis dabei sein, Dinge zusammenzuführen. Und natürlich sind dann die Prozesse in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Man muss sich also mit den Kolleg*innen vor Ort auf diesen Prozess einlassen.

»Selbst die, die es grundsätzlich für richtig halten, dass Wissenschaft problemlösend sein soll, haben meistens nicht gelernt, wie man Forschungsfragen im gesellschaftlichen Kontext formuliert und dann auch bearbeitet.«

Welche Erfahrungen hast du in der Zusammenarbeit mit Partner*innen aus dem globalen Süden gemacht?

Das eine Problem ist, dass es häufig eine Hierarchie gibt, dass westliche Wissenschaftler*innen sich selbst als höherstehend empfinden. Und selbst, wenn sie das nicht tun, werden sie oft von den Vertreter*innen aus dem Süden als höherstehend angesehen, was mit Blick auf die Publikationslisten, den h-Koeffizienten oder ähnliche Indikatoren auch nachvollziehbar ist. Dass die aber über die tatsächliche Kompetenz überhaupt nichts aussagen, ist eine andere Frage. Da erst mal das Selbstbewusstsein eines Level Playing Fields hinzubekommen, ist eine Herausforderung.

Noch schwieriger ist es, wenn man mit Stakeholdern arbeitet. Ich habe zum Beispiel in einem Projekt mit Bauern aus einem Dorf in Vietnam gearbeitet. Die erste Frage, die sie gestellt haben, war: »Was wollt ihr uns beibringen? Ihr werdet ja nicht so weit gefahren sein, wenn ihr uns nicht etwas beibringen wollt.« Völlig logische, berechtigte Fragen. Als ich sagte, dass wir nicht hier seien, um etwas weiterzugeben, sondern um selbst etwas zu lernen, haben sie das zunächst nicht geglaubt. Nachdem ich allerdings angefangen hatte, Fragen zum Reisanbau zu stellen, haben sie sich bei der dritten Frage gegenseitig angegrinst und gesagt: »Der hat wirklich noch viel zu lernen.« Das setzt voraus, dass man auch diese Leute mit einem ganz anderen kulturellen Hintergrund und einem ganz anderen Bildungsstandard als gleichberechtigte Gesprächspartner*innen ansieht. Und die merken auch, ob man das ernst meint.

Im internationalen Bereich musst du noch mehr als im nationalen Bereich mit Lernprozessen rechnen, die durch den allmählichen Aufbau von Vertrauen entstehen und durch die auch Themen im Prozess neu aufkommen. Wichtig ist, dass man nicht nur Daten abgreift und nichts zurückgibt. Wir haben zum Beispiel wissenschaftliche Publikationen geschrieben, wo alle Wissenschaftler*innen aus dem globalen Süden, aber auch die örtlichen Verwaltungsmitarbeiter*innen und die Bauern mit als Co-Autor*innen aufgeführt sind. Das kann man anbieten, um zu zeigen: Da ist eure Arbeit eingeflossen und das wird ernst genommen. In der Sache haben die Betroffenen nichts davon, aber die Anerkennung tut gut, und mit der Publikation können sie auch anderen die Anerkennung zeigen, die sie erfahren haben. Wir haben es auch geschafft, einen Bauern als Redner zu einer Konferenz zu bringen – ein großes Erlebnis, aber schwierig abzurechnen nach deutschen Haushaltsrichtlinien.

 

Welche strukturellen Rahmenbedingungen findest du entscheidend für gelingende internationale Kooperationen?

Eines unserer Projekte ist im Vergleich zu anderen sehr gut gelaufen, weil wir den Vorteil hatten, dass wir ein halbes Jahr lang eine finanzierte Vorlaufphase hatten. In dieser Phase sind wir zu zweit nach Südostasien gereist, haben uns mit unseren Ideen für mögliche Forschungsfragen mit den Bauern zusammengesetzt und sie gefragt, ob das überhaupt die richtigen Fragen sind. Dann haben wir mit ihnen die Forschungsfragen umformuliert und sind anschließend mit Forschungsfragen, die mit den Stakeholdern bereits abgestimmt waren, in das Antragsverfahren gegangen. Im Gegensatz zu anderen, die diese Chance nicht hatten, mussten wir unsere Forschungsfragen im Lauf des Prozesses nur sehr selten ändern.

Wichtig ist auch eine gewisse Flexibilität der Projektmittelsteuerung. Wenn im ersten Jahr schon alle Ausgabenschwerpunkte bis zum fünften Jahr festgelegt sein sollen, ist das natürlich sehr schwierig. Es läuft eben im globalen Süden vieles nicht so wie in Deutschland. Man kann nicht alles fünf Jahre im Voraus planen. Das sind so Rigiditäten, die man im Forschungssystem angehen muss und wo wir noch etliches verbessern können.

»Transdisziplinäre Forschung im globalen Süden setzt voraus, dass man auch Leute mit einem ganz anderen kulturellen Hintergrund und einem ganz anderen Bildungsstandard als gleichberechtigte Gesprächspartner*innen ansieht. Und die merken auch, ob man das ernst meint.«

Was möchtest du jungen Menschen zum Abschluss mit auf den Weg geben?

Man sollte seine Präferenzen kennenlernen und sich über sie im Klaren sein. Wenn du im heutigen Wissenschaftssystem Karriere machen und berühmt werden willst, ist die sicherste Methode, in einem vielversprechenden Bereich eine Doktorarbeit zu schreiben, diese in mindestens drei oder vier verschiedenen Papers zu veröffentlichen, und danach die nächsten 30 Jahre in denselben drei Journals über dasselbe Thema zu schreiben. Nach spätestens 20 Jahren bist du anerkannte*r Expert*in in diesem Bereich mit guten Aussichten auf einen Lehrstuhl – wenn du so lange eine akademische Stelle hast.

Die andere Möglichkeit ist, dass man über Projekte verschiedener Art und möglichst auch mit Weiterbildung in verschiedenen fachlichen Themen, angefangen von philosophischen Grundlagen über mathematische Methoden und soziologisch-psychologische Faktoren bis zu naturwissenschaftlichen Grundlagen von einer Fragestellung zur nächsten wechselt, also den Gegenstand des eigenen Interesses aus möglichst unterschiedlichen Blickrichtungen anzugehen versucht. Das ermöglicht es, einen wesentlich breiteren, umfassenderen und verständnisvolleren Blick auf die Welt, die Probleme und die Zusammenhänge zu bekommen. Das bringt persönlich, glaube ich, eine sehr viel größere Zufriedenheit mit dem, was man tut. Es ist viel Abwechslung, es ist spannend. Aber Berühmtheit erlangt man nicht, weil man zu verschiedenen Zeiten zu verschiedenen Perspektiven in unterschiedlichen – meist disziplinären – Journals schreibt, mit unterschiedlichen Schwerpunkten und unterschiedlicher Leser*innenschaft. Zudem hast du eine gewisse Unsicherheit. Du kannst nie für mehr als drei bis fünf Jahre vorausplanen. Wenn man zu den Menschen gehört, die Sicherheit brauchen, dann wäre der bessere Weg, Fachexpert*in zu werden und sich im System zu etablieren. Das ist eine sehr persönliche und nicht sehr einfache Entscheidung.

Aber seid euch im Klaren, dass es keine Karrierewege mehr gibt, die ihr in der Ausbildung einschlagt und die euch garantieren, dass ihr bis zum Rentenalter immer gut situiert seid. Heutzutage gibt es überall knallharte und nicht immer faire Konkurrenz. Das heißt, man muss auch mal die Extrameile gehen, um sich ein bestimmtes Standing zu erarbeiten. Das macht man aber nur wirklich gut, wenn man es auch gerne tut. Schaut also, was euch wirklich Spaß macht, denn ohne Spaß kein Erfolg (und Erfolg macht wiederum Spaß).

Interview: März 2020