Im Gespräch mit

Julia Römer

Mitglied im Hightech-Forum der deutschen Bundesregierung

Liebe Julia, wie kamst du dazu, Mitglied im Hightech-Forum zu werden?

Durch mein Engagement in unserem Unternehmen sind verschiedene Ministerien, darunter das BMBF, auf uns aufmerksam geworden. Ende 2018 wurde ich dann direkt angesprochen, ob ich nicht Teil des Hightech-Forums werden möchte. Erst einmal war ich mir nicht so ganz sicher, was sie von mir wollen. Immerhin sitzen da auch Vorstandsvorsitzende von großen Unternehmen, der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft sowie mehrere Präsident*innen von Hochschulen drin. Aber mittlerweile habe ich ganz gut meine Rolle gefunden, nämlich aus der Praxis zu erzählen, aber eben aus der Praxis eines Sozialunternehmens mit einer klaren Mission und mit sehr klaren Ideen in Richtung Nachhaltigkeit und Unternehmertum. Zudem habe ich natürlich immer den starken BUND-Bezug und den nehme ich mit in die Sitzungen. Auch wenn ich offiziell nicht für den BUND im Gremium sitze, sondern das klar voneinander getrennt ist. Ich kann nicht beide Rollen ausfüllen und als einzelne Person die komplette Zivilgesellschaft im Umweltbereich vertreten.

Julia Römer hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Im Jahr 2016 hat sie Coolar gegründet. Das Unternehmen entwickelt Kühlschränke, die komplett ohne Strom und nur mit günstiger Wärme funktionieren. Julia Römer ist Mitglied im Hightech-Forum 2019-2021, dem zentralen Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung zur Umsetzung der Hightech-Strategie 2025 (Impulspapier zu Nachhaltigkeit im Innovationssystem). Sie ist außerdem Beisitzerin im Bundesvorstand des BUND.

Vorläuferin des Hightech-Forums war die Forschungsunion, die mit Vertreter*innen von Wissenschaft und Wirtschaft besetzt war. Nun ist offiziell auch die Zivilgesellschaft als dritte Akteurin vertreten. In der Liste der aktuellen Mitglieder finden sich allerdings so gut wie keine Vertreter*innen der Zivilgesellschaft.

Viele Mitglieder des Forums haben eine Doppelrolle, also eine offizielle Funktion in der Wissenschaft oder Wirtschaft und zusätzlich Aktivitäten im zivilgesellschaftlichen Bereich. Aber es ist definitiv so, und das ist auch etwas, das wir kritisiert haben, dass zu wenig reine Zivilgesellschaft mit dabei ist, die wirklich auch die Rolle hat, zum Beispiel die Umweltszene zu vertreten. Es ist meiner Meinung nach schon immer noch sehr hochschullastig. Das ist für theoretische Fragestellungen gut, aber die praktische Relevanz ist manchmal ein bisschen unklar. Ich würde sagen, es könnte auf jeden Fall noch ein bisschen bunter sein. Wir probieren die Zivilgesellschaft jetzt zum Beispiel über Workshops reinzuholen. Ich denke aber, dass man darauf hinwirken muss, dass die Zusammensetzung des Forums beim nächsten Mal anders wird.

 

Wie ist die Arbeit im Forum organisiert – sind alle Mitglieder gleichberechtigt oder haben einzelne Akteur*innen mehr Einfluss?

Auf den Sitzungen im großen Gremium diskutieren wir Vorlagen, die vorher vorbereitet wurden, und treffen Entscheidungen über Veröffentlichungen. Dazwischen sind wir organisiert in einzelne Thementeams, zum Beispiel Soziale Innovationen oder Nachhaltigkeit im Innovationssystem. Uns wurden Vorschläge gemacht, in welche Thementeams wir gut reinpassen würden, aber letztlich konnten wir sie uns selbst aussuchen. In den Thementeams werden die eigentlichen Papiere erarbeitet. Wir kriegen meistens einen kleinen Aufschlag mit ein bisschen Hintergrundwissen von der Geschäftsstelle des Hightech-Forums. Die Ausarbeitung der Inhalte erfolgt dann auf Telefonkonferenzen auf verschiedenen Ebenen, also einmal der eigentlichen Mitglieder und dann von deren Assistent*innen. Wobei ich keine*n Assistent*in habe, weil wir ein Start-up sind. Zusätzlich veranstalten wir Expert*innen-Workshops, um breite Perspektiven zum jeweiligen Themengebiet abzugreifen. Das sind dann Tagesveranstaltungen, die von der Geschäftsstelle und von externen Dienstleistern durchgeführt werden.

Danach priorisieren wir innerhalb des Thementeams in mehreren Iterationsschleifen: Was muss unbedingt ins Papier, was vielleicht nicht? Fehlt uns was, muss was raus? Es ist definitiv so, dass man sich da aktiv einbringen muss, wenn man bestimmte Sachen drin haben will. Aber dann ist es definitiv auch so, dass ich genauso Einflussmöglichkeiten habe wie zum Beispiel ein Vorstandsvorsitzender. Wenn es darum geht, welche Sachen in so einem Papier stehen, ist meine Stimme genauso gewichtig wie seine. Es wird dann einfach gepunktet, und die Sachen mit den meisten Punkten werden aufgenommen. Das ist bei den Sitzungen genauso. Es gibt dort keine Vertretungsregelung, nur Mitglieder haben Rederecht. Wer da ist, hat den Einfluss. Grundsätzlich ist die Arbeit innerhalb des Forums also sehr demokratisch organisiert.

»Wir probieren die Zivilgesellschaft über Workshops reinzuholen. Man muss aber darauf hinwirken, dass die Zusammensetzung des Forums beim nächsten Mal anders wird.«

Wie groß ist der Einfluss der Arbeit des Hightech-Forums auf die Politik?

Wie die Durchschlagskraft in Richtung Politik ist, das kann ich noch nicht so gut abschätzen. Die ersten Papiere des Forums, die bisher herausgegeben wurden, wurden sehr schnell von der Politik aufgegriffen. Diese waren aber nicht aus meinen Themengebieten. Für die Papiere, an denen ich mitgearbeitet habe, zum Beispiel zu Nachhaltigkeit, hatten wir schon große Termine angedacht auf Ebene der Staatssekretär*innen aus verschiedenen Ressorts, um dieses Papier vorzustellen. Wegen Corona wurde alles, was in diese Richtung ging, erst mal verschoben. Erst danach kann man sehen, was aus so einem Papier wirklich rausgezogen wird. Auf jeden Fall merke ich, dass das Papier Interesse hervorruft, dass wir zum Beispiel auf verschiedene Veranstaltungen eingeladen werden und verschiedene Leute das mit einem diskutieren wollen.

Wichtig für uns war, dass wir den Nachhaltigkeitsgedanken nicht nur im Thementeam Nachhaltigkeit im Innovationssystem behandeln, sondern versuchen, es in jedes andere Thementeam auch einzubringen. Die Meinung unseres Thementeams, aber auch anderer Thementeams war, dass Nachhaltigkeit das übergeordnete Thema sein muss, wenn man sich mit Innovationen beschäftigt und mit der Hightech-Strategie. Das ist sehr positiv zu bewerten. Das heißt, Nachhaltigkeit ist nicht nur im Nachhaltigkeitspapier drin, sondern auch in den anderen Papieren mit verwoben.

 

Wie lief dieses Mainstreaming von Nachhaltigkeit? Gab es auch Widerstände dagegen, das in andere Arbeitsgruppen einzubringen?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich es mir teilweise kontroverser vorgestellt hatte. Ich war manchmal überrascht, wie einfach bestimmte Sachen durchgesetzt werden konnten. Wir dachten, dass es zumindest an bestimmten Stellen definitiv stärkeren Widerstand geben würde. Klar ist: Wir haben eine ziemlich starke Nachhaltigkeitsfraktion im Forum. Es gibt verschiedene Professor*innen, die sich sehr dezidiert mit diesem Thema beschäftigen, und auch sehr stark im Auftreten sind. Zum Auftakt des Nachhaltigkeits-Thementeams hatten wir eine lange Diskussion über die Definition von Nachhaltigkeit, was natürlich schon eine Richtung vorgibt: Sprechen wir über starke oder schwache Nachhaltigkeit? Aber wie gesagt, wir haben da ein Übergewicht in Richtung starke Nachhaltigkeit.

Woran es allerdings liegt, dass es so wenige Kontroversen gibt, weiß ich nicht: Liegt es daran, dass Nachhaltigkeitsthemen als wirklich relevant angesehen werden? Oder daran, dass zum Beispiel Vertreter*innen aus der Wirtschaft ihre (kontroversen) Themen in anderen Thementeams einbringen? Ich weiß natürlich auch nicht, was auf politischer Ebene woanders passiert. Die haben teilweise ganz andere Einflussmöglichkeiten auf anderen Ebenen und müssen nicht alles übers Hightech-Forum einbringen.

»Man denkt immer, man hat keine Ahnung. Aber ganz ehrlich: Man hat so viel Ahnung von Sachen, von denen man nicht einmal weiß, dass man davon Ahnung hat.«

Wie lässt sich die Arbeit im Hightech-Forum mit deiner eigentlichen Arbeit bei Coolar verbinden?

Die Arbeit im Forum ist sehr intensiv. Ich bin ja nun in drei Thementeams und habe zwischendurch fast den Überblick verloren, wann ich eigentlich welche Telefonkonferenz mit welchem Thementeam habe. Zudem gibt es immer richtig viel zu lesen und anzumerken und da war ich sehr froh, dass mich mein Mitgründer dabei unterstützt hat. Der Prozess ist relativ stark getaktet von der Geschäftsstelle, aber dadurch, dass sie auch viel Hilfestellung geben, hat das tatsächlich bisher ganz gut funktioniert.

Wir haben durch die Arbeit im Forum keine andere Deadline bei Coolar verpasst. Es war und ist auch immer klar, dass ich dafür jetzt nichts schleifen lasse. Aber es ist trotzdem ein wichtiges Gremium und wir wollen ja auch Sachen verändern. Wir wollen nicht in so einem Gremium sitzen, um uns das irgendwie auf die Visitenkarte zu schreiben, sondern wir wollen inhaltlich mitreden. Und deswegen nehmen wir das auch sehr ernst und versuchen so gut, wie es irgendwie geht, dabei zu sein und unsere Inhalte einzubringen.

 

Was möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Als die Anfrage kam, Mitglied im Hightech-Forum zu werden, dachte ich zunächst: »Was wollen die denn jetzt von mir? Ich bin doch überhaupt keine Expertin in XYZ, und da sitzen nur hochdotierte Menschen.« Mein Tipp in so einer Situation: Einfach machen! Man findet seine Rolle schon. Es gibt bestimmt Gründe, dass man da ist. Sonst hätten sie einen nicht gefragt. Und auf keinen Fall Nein sagen, sondern erstmal Ja sagen. Solche Chancen kommen meistens nicht nochmal.

Man denkt immer, man hat keine Ahnung. Aber ganz ehrlich: Man hat so viel Ahnung von Sachen, von denen man nicht einmal weiß, dass man davon Ahnung hat. Ich hätte nie gedacht, dass jemand die Sachen, die ich jetzt zum Beispiel bei Coolar gelernt habe oder die ich sonst so mache, interessant findet. Aber es gibt so viele Sachen, die man einfach mitnimmt oder auf die man eine bestimmte Sicht hat, gerade weil man jung ist. Die anderen stecken da nicht drin und für die sind das wichtige Erkenntnisse. Nur, weil die anderen irgendwelche Titel haben, heißt das nicht, dass man da nichts beitragen kann. Man muss einfach für sich definieren, was der eigene Fokus ist und worauf man hinauswill. Also lasst euch nicht davon entmutigen und traut euch, solche Angebote anzunehmen!

So ähnlich wäre mein Feedback aus meinen Erfahrungen bei Coolar: Wenn ihr etwas machen wollt: Einfach machen! Nicht lange drüber nachdenken, sonst redet man es sich selber wieder aus. Einfach probieren, und dann sieht man schon, wie es weitergeht. Aber es hat noch nie etwas gebracht, wenn man es nicht wenigstens probiert hat. Man lernt immer und deswegen kann es nicht schlecht sein.

»Es ist ein anderer Druck, den du hast in einem Start-up, aber es ist auch eine positive Art von Druck. Das führt zu einer anderen, viel zielorientierteren Art von Arbeit.«

Hast du auch überlegt, in der Wissenschaft zu bleiben, also den Solarkühlschrank an der Hochschule weiterzuentwickeln?

Coolar ist aus meiner Masterarbeit entstanden. Gleichzeitig habe ich ein Projekt an der Uni beantragt zur Entwicklung eines alternativen Haushaltskühlschranks – gleiche Grundtechnologie, anderer Anwendungsbereich. Mit Coolar sind wir inzwischen wesentlich weiter, als wir jemals in dem Forschungsprojekt gekommen sind. Natürlich war das Forschungsprojekt sehr viel besser finanziell ausgestattet, aber du hast auch ganz andere Verpflichtungen, an denen du dich abarbeiten musst und die auch oft keinen Spaß machen. In einem Start-up musst du einfach schauen, wo du Geld herbekommst, und dann setzt du das sofort um. Du bist flexibel und agil. Es ist einfach ein anderer Druck, den du hast in einem Start-up, aber es ist auch eine positive Art von Druck. Das führt zu einer ganz anderen, viel zielorientierteren Art von Arbeit.

Ich hatte mal überlegt, ob ich innerhalb des Uni-Projekts einen PhD anfange. Aber mir war von vornherein klar, dass ich das niemals zu Ende machen würde. Weil ich einfach nicht der Schreiberling bin und mich da im Endeffekt total verzetteln würde. Ich arbeite viel lieber ergebnis- und zielorientiert an Sachen, als dass ich überlege: Wie viele Paper muss ich noch veröffentlichen? Wir machen das ja trotzdem auch bei Coolar, wir veröffentlichen auch Paper, wenn wir neue Ergebnisse haben. Das finde ich sehr wertvoll. Und es ist auch wichtig für unsere Reputation, dass wir nicht totalen Schmuh machen, sondern dass man das auch wissenschaftlich mit uns diskutieren kann.

 

Das ist ein interessanter Fall, dass ihr ein ähnliches Produkt fast parallel an der Hochschule und in einem Start-up entwickelt und so auch das Für und Wider der beiden Welten vergleichen könnt.

Für oder dagegen ist eine sehr persönliche Frage. Es gibt da kein richtig und falsch, es sind einfach zwei unterschiedliche Arten zu arbeiten. Ich bin froh, dass wir beides im Unternehmen haben, also dass wir Leute haben, die sehr wissenschaftlich arbeiten, und dass wir Leute haben, die einfach machen und sich nicht darüber Gedanken machen, ob das alles wissenschaftlich korrekt ist, sondern erst mal ausprobieren und testen. In der Wissenschaft dauert meines Erachtens Vieles länger, weil du dieses Trial and Error-Prinzip nicht so krass verfolgen kannst, wie wir das machen. Völlig kompromisslos an bestimmten Stellen. Aber wie gesagt, ich bin froh, dass wir beides haben und das auch balanciert bekommen und somit nicht komplett losgelöst von irgendeiner Seite agieren.

 

Also würdest du zustimmen, dass sich manche Dinge außerhalb der akademischen Wissenschaft schneller entwickeln lassen als innerhalb?

Man kann einen PhD ja auch als Sprungbrett nehmen. Es gibt ja nun auch Förderungen, um aus der Wissenschaft irgendwann rauszukommen und seine Forschungsergebnisse in die Wirtschaft zu übertragen. Das sollte man definitiv auch nutzen. Aber man muss sich im Klaren sein, dass dann die Zeiträume, in denen man bestimmte Sachen abliefern muss, kleiner werden beziehungsweise man mehr unter Druck steht als an der Hochschule. Da haben wir zwar super Sachen gemacht und innerhalb unseres Projekts auch relativ sorgen- und stressfrei gearbeitet und das ist bei Coolar definitiv anders. Aber wie gesagt, die Ergebnisse sind in unserem Fall im Endeffekt auch anders. Da kann man ganz klar sehen, wo bisher mehr entwickelt wurde.

 

Interview: Mai 2020