Im Gespräch mit

Viola Gerlach

Wissenschaftliche Referentin des Direktors am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS)

Liebe Viola, was macht Transdisziplinarität für dich aus?

Transdisziplinarität verfolgt einen integrativen Ansatz in der Forschung. Das macht diesen Ansatz komplex, herausfordernd und gleichzeitig auch sehr spannend. Er ist vor allem dann wichtig, wenn es um die Erforschung interdependenter Wirkmechanismen geht. Oft sind systemische Zusammenhänge betroffen und es geht um Wechselwirkungen zwischen Technologie, Natur und Gesellschaft. Entsprechende Fragestellungen gehen über disziplinäre oder interdisziplinäre Forschungsarbeit hinaus und haben gleichzeitig eine hohe gesellschaftliche Relevanz bzw. weisen oft auch eine entsprechende Kontroverse nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Politik und Gesellschaft auf.

Am IASS beginnt transdisziplinäre Forschung schon mit der gemeinsamen Entwicklung der Fragestellungen. Es geht dabei darum, gemeinsam einen Verständigungs- und Lernprozess zu ermöglichen, in dem verschiedene Wissenschaftsdisziplinen und gleichzeitig auch Anwendungswissen durch Praxispartner*innen und Akteur*innen aus Gesellschaft und Wirtschaft in den Prozess mit einbezogen werden. Nicht zuletzt geht es dabei auch um einen Aushandlungsprozess, der verschiedene Vorstellungen und Wahrnehmungsstrukturen konstruktiv zusammenführt

Viola Gerlach ist wissenschaftliche Referentin des geschäftsführenden wissenschaftlichen Direktors Prof. Dr. Ortwin Renn am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS Potsdam (Profil). Sie verfügt über 15 Jahre Erfahrung in der Moderation und Konzeption transdisziplinärer Dialoge und Prozesse. Inhaltlich beschäftigt sie sich aktuell mit der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, siehe diesen Blogbeitrag.

[Porträtfoto: ©Lotte Ostermann]

Was braucht es, damit solche transdisziplinären Prozesse gelingen?

Um ein transdisziplinäres Vorhaben erfolgreich zu machen, bedarf es mehrerer Aspekte. Zum einen sind Rahmenbedingungen wie angemessen viel Zeit und eine hervorragende Moderation wichtig. Letztendlich geht es um eine kommunikative Herausforderung, nämlich einen Austauschprozess mit unterschiedlichsten Interessen, unterschiedlichsten (Fach-)Sprachen und unterschiedlichsten Kompetenzen zu begleiten. Das setzt voraus, dass die diesen Prozess moderierende Person kommunikativ sehr versiert ist. Darüber hinaus erfordert es bei den Teilnehmer*innen des Prozesses ein hohes Maß an Flexibilität, über die eigene Disziplin und Kompetenz hinaus sich auf neue, andere und teilweise kontroverse Aspekte und Sichtweisen einzulassen. Darüber hinaus muss sich aus meiner Sicht ein transdisziplinärer Prozess auch daran messen lassen, wie nachhaltig die dort generierten Ergebnisse umgesetzt werden und zu einer Transformation der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit beitragen.  

 

Welche Kompetenzen braucht es für diese Moderationsrolle?

Genauso wie Nachhaltigkeit ist auch Kommunikation und Moderation kein Selbstzweck. Nur ein nachhaltiger Umgang mit der Endlichkeit unserer Ressourcen sichert langfristig ein gutes Leben auf diesem wunderbaren Planeten. Ähnlich ist es mit der Moderation: Nur eine wirklich gute Moderation sichert einen wertvollen Austausch mit hoher Wirksamkeit zwischen den Beteiligten.

Die Krux an der Sache ist: Unser Wissenschaftssystem und damit auch der Karriereweg ist vorrangig noch disziplinär ausgerichtet. Solange die Anzahl der veröffentlichten Fachartikel das alleinige Maß ist, an dem die eigene Kompetenz gemessen wird, wird transdisziplinäre Arbeit schwierig und auch unattraktiv, allein aufgrund der Rahmenbedingungen. Der Anreiz, kommunikative Kompetenzen aufzubauen ist dann gering. Die Kompetenz, sich auf verschiedene Fachdisziplinen und entsprechende Argumentationsstränge einzulassen, ist wichtig, um nicht nur transdisziplinär zu forschen, sondern auch transformativ wirksam zu werden.

»Da es bisher noch nicht zum Standard gehört, Moderationserfahrung zu sammeln und gleichzeitig transdisziplinär zu forschen, mache ich mich stark für die Rolle des Mentorings. Es braucht einen konstruktiven, schrittweisen Hinführungsprozess zu diesen Kompetenzen.«

Auf welcher Ebene – strukturell oder individuell – können solche Kompetenzen gezielt gefördert werden?

Wir sind jetzt in einer Phase, in der Wissenschaft immer mehr die Rolle zukommt, den Vermittlungsprozess zwischen verschiedenen Wissensformen zu steuern. Das ist ein langsamer Prozess, der aber angestoßen ist. Die Förderung von Kompetenzen, transdisziplinär zu arbeiten, muss sowohl im Aufbau entsprechender Strukturen als auch bei der Förderung individueller Kompetenzen ansetzen. Forschungseinrichtungen, die sich mehr auf transdisziplinäre Forschung konzentrieren wollen, sind herausgefordert auch organisatorisch disziplinübergreifende Forschungsarbeit zu stärken. Gleichzeitig sollte der Anschluss an die Umsetzung dieser dann generierten Forschungsergebnisse gewährleistet sein. Praxispartner*innen und Umsetzer*innen sollten viel mehr von Beginn an in Forschungsprojekten einbezogen werden. Und es bedarf einer kontinuierlichen Evaluation und Weiterentwicklung der Methodik, verbunden mit der Messung der Wirksamkeit transdisziplinärer Forschung. Das setzt natürlich voraus, dass die dort arbeitenden Wissenschaftler*innen auch ein Interesse haben, transdisziplinar zu arbeiten und sich auch mit Blick auf kommunikative Kompetenzen weiterzuentwickeln.

 

Wie kann man als Moderator*in in komplexen Prozessen mit unterschiedlichen Akteur*innen einen gemeinsamen Bezugsrahmen finden? Was ist wichtig, um solche Prozesse zu gestalten?

Wenn man so einen Prozess erfolgreich moderieren möchte, spielt Erfahrung eine wichtige Rolle. In transdisziplinären Prozessen spielen nicht nur unterschiedliche Wissensformen eine Rolle, sondern auch verschiedene Wahrnehmungen und Werte der Beteiligten. Zudem sind in solchen Prozessen die Themen an sich oft komplex, mit Unsicherheiten behaftet und beinhalten Zielkonflikte. Der gemeinsame Bezugsrahmen ist dann meist eine übergreifende Fragestellung, zu deren Bearbeitung verschiedene Kompetenzen gefragt sind. Diese zusammenzuführen und konkrete Ergebnisse daraus abzuleiten setzt kommunikative Kompetenz, transdisziplinäre Forschungskompetenz und auch die Freude, einen kontroversen Austausch konstruktiv zu begleiten, voraus.

Diese Kompetenz wird in den nächsten Jahren sehr an Bedeutung gewinnen. Und da es bisher noch nicht zum Standard gehört, Moderationserfahrung zu sammeln und gleichzeitig transdisziplinär zu forschen, mache ich mich hier sehr stark für die Rolle des Mentorings. Es braucht einen konstruktiven, schrittweisen Hinführungsprozess zu diesen Kompetenzen durch erfahrene Persönlichkeiten, die ihr Wissen und ihre Erfahrung gerne teilen.

»Wenn uns der Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit gelingen soll, dann reicht es nicht, Wissen zu generieren – es muss auch manifestiert und angewendet werden.«

Bei Transdisziplinarität geht es um die Zusammenarbeit von Wissenschaft mit Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft. Während es zur Kooperation mit Zivilgesellschaft und Politik schon viel Literatur gibt, ist die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft noch wenig abgebildet. Wie erklärst du dir das?

Wenn man Neues denkt – wenn man Pionier*in ist – dann wird man dafür nicht nur Applaus bekommen. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft war bisher stark auf technologische Fragestellungen fokussiert. Viele Wissenschaftler*innen – und genauso Unternehmer*innen – tun sich schwer, aufeinander zuzugehen, um gesamtgesellschaftliche Fragen zu diskutieren. Zu unterschiedlich erscheinen die Werte und Weltbilder. Doch wenn uns der Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit gelingen soll, dann reicht es nicht, Wissen zu generieren – es muss auch manifestiert und angewendet werden. Das heißt, es muss sich auch an dem orientieren, was umsetzbar ist. Gleichzeitig ist es Zeit, dass Unternehmen sich für Reflexionsprozesse über die Sinnhaftigkeit und den gesellschaftlichen Beitrag ihrer Produkte und Dienstleitungen öffnen. Ich sehe da immer mehr Bereitschaft auf beiden Seiten, aufeinander zuzugehen. Die Fridays for Future-Bewegung hat einiges dazu beigetragen, dass Unternehmen auch gesellschaftsrelevante Fragestellungen auf ihrer Agenda haben.

Teile der Wirtschaft haben sich in den letzten Jahren zunehmend für gesellschaftliche Belange geöffnet. Sie befinden sich quasi in mitten ihres eigenen Transformationsprozesses. Die Zeit ist jetzt mehr als reif, dass man in der Wissenschaft, bei den politischen Entscheidungsträger*innen und auch in der Zivilgesellschaft anerkennt, dass es einen nicht unerheblichen Teil in der Wirtschaft gibt, der sich tatsächlich auch einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist. Und dass sie sogar großes Interesse haben, diesen Transformationsprozess mitzugestalten.

»Wichtig wird heute und in Zukunft vielmehr die Interaktion zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlicher Akzeptanz.«

Aber gibt es nicht einen inhärenten Widerspruch zwischen der Wachstumslogik, der große Teile der Wirtschaft unterliegen, und den Kernanliegen einer starken Nachhaltigkeit?

Ich würde hier zunächst für eine differenzierte Sichtweise werben wollen. Das disziplinäre Wissen, das durch die Wissenschaft bereitgestellt wird, ist ein Baustein im Transformationsprozess. Wichtig wird heute und in Zukunft vielmehr die Interaktion zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlicher Akzeptanz.

Es gibt Rahmenbedingungen – wie die Endlichkeit der Ressourcen. Diese anzuerkennen ist ein zentraler Schritt, vor allem auch bei Unternehmern und Verbraucher*innen. Aus meiner Sicht brauchen wir auch eine Diskussion um die Werte, für die zukünftige Unternehmen stehen. Diese müssen Ressourcenschutz genauso beinhalten wie die Frage der Mitgestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten innerhalb des Unternehmens durch die Mitarbeiter*innen. Wir stehen hier erst am Anfang einer sehr spannenden Forschung und Diskussion.

 

Was möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Finde heraus was du wirklich gut kannst, was dir Freude macht, und was einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellt – und such dir auf dem Weg Mentor*innen – und sei immer auch selbst Mentor*in.

Ein Drittel der Menschen, mit denen du dich umgibst, sollten in ihren Erfahrungen sehr viel weiter sein als du und ihr Wissen weitergeben können. Ein Drittel sollten Gleichgesinnte sein, die ungefähr so weit sind wie du, die vielleicht in unterschiedlichen Kontexten arbeiten, aber die ungefähr so alt sind wie du, die ähnliche Interessen haben und mit denen du deinen Entwicklungsprozess teilen kann. Und ein Drittel sollten Menschen sein, die du weiterbringst, die von dir lernen. Das sind meistens Menschen, die noch deutlich jünger sind, die dich selbst aber manchmal weiterbringen, gerade weil sie jünger sind und interessante Fragen stellen, die du dir vielleicht selbst nicht gestellt hättest

 

Interview: Mai 2020