Im Gespräch mit

Volker Quaschning

Mit-Initiator von Scientists for Future

Lieber Herr Quaschning, wie kam es zur Gründung der Scientists for Future (S4F)?

Wir hatten letztes Jahr die Fridays for Future-Bewegung, in der die junge Generation vollkommen zu Recht analysiert hat: Die Wissenschaft empfiehlt, was im Hinblick auf den Klimaschutz zu tun ist und die Politik macht es einfach nicht. Das Einzige, was der Politik eingefallen ist, statt mit ihnen in einen Diskurs zu treten, war, die junge Generation zu diskreditieren. Da ist einigen in der Wissenschaft einfach der Kragen geplatzt. Man wird ja selber schon seit 20 Jahren ignoriert mit den Ergebnissen, die die Wissenschaft produziert. Das Gleiche hat man jetzt versucht, mit der jungen Generation zu machen. Die Profis sagen eigentlich schon seit Langem, was zu tun ist, aber die Politik handelt nicht. Und jetzt müssen wir uns einfach hinter die junge Generation stellen und deren Legitimation nach außen klarmachen, damit wir in einen inhaltlichen Diskurs kommen.

Foto © Janine Escher

Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin (Profil). 2019 initiierte er mit anderen Wissenschaftler*innen die Scientists for Future zur Unterstützung von Fridays for Future und der Klimabewegung im Allgemeinen. Zudem ist Quaschning in der Wissenschaftskommunikation aktiv, unter anderem auf YouTube, Twitter und seiner Homepage.

[Porträtfoto © Silke Reents]

Also würden Sie sagen, dass die Anfangsimpulse der Bewegung stark von Wut und anderen Emotionen geprägt waren?

Wut ist der falsche Begriff, eher Unverständnis. Wut ist so emotional. Eigentlich ist die Wissenschaft ja viel zu wenig emotional. Das ist auch ein Problem, dass man die ganze Zeit veröffentlicht und das ganz nüchtern und sachlich nach außen dringt. Wir haben also permanent nüchtern-sachliche Beschreibungen des Weltuntergangs, wenn man die Folgen der Klimakrise durchdekliniert. Deswegen fällt es wahrscheinlich auch so leicht, es zu ignorieren.

 

Wie lief die Gewinnung von Wissenschaftler*innen ab, die die Forderungen von S4F unterstützt haben?

Die Gewinnung von Mitstreiter*innen für S4F war sehr einfach. Wir hatten am Anfang nur über Mundpropaganda Leute gesucht und hatten innerhalb von wenigen Tagen 700 Unterstützer*innen. Ziel war es, eine sehr breite Gruppe mit großer Reichweite zu finden. Nachdem wir 700 Erstunterzeichner*innen hatten, haben wir den Aufruf für ein paar Tage online gestellt und hatten sehr schnell 27 000 Unterstützer*innen. Das habe ich am Anfang nicht erwartet, weil Wissenschaftler*innen normalerweise mit Öffentlichkeitsdarstellungen doch sehr zurückhaltend sind.

 

Sie haben erwähnt, dass es eine Hauptrolle der S4F war, den Forderungen von Fridays for Future und der Klimabewegung als unabhängige Wissenschaftler*innen Legitimation zu verschaffen. Was sind weitere Rollen, die die S4F im deutschen Klimadiskurs einnehmen können?

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es schizophren, was derzeit passiert. Wenn wir das Rad zehn Jahre vordrehen und zurück auf die Corona-Krise schauen, wird man sagen: Das war ein schlimmes, aber temporäres Ereignis. Wenn wir uns anschauen, was in der Klimakrise auf uns zurollt, dann wird das ähnlich disruptive Veränderungen haben wie jetzt bei der Corona-Krise, nur dauerhaft. Bei der Corona-Krise haben einige Kolleg*innen aus der Medizin gesagt: Was wir jetzt erleben, ist eine Naturkatastrophe in Zeitlupe. Das Schlittern in die Klimakrise ist nochmal um den Faktor 50 oder so langsamer, aber am Ende noch mit einer wesentlich größeren Vehemenz und Fatalität. Das Problem ist, dass man die ganze Zeit beobachtet, dass wir sehenden Auges in die Katastrophe fahren und dass nicht gehandelt wird.

Was ist dann die Aufgabe der Wissenschaft? Die Wissenschaft sieht, dass nicht das Notwendige passiert. Die Aufgabe der Wissenschaft ist nun nicht, sich am Brandenburger Tor anzuketten oder einen Sit-in im Bundestag zu machen. Das müssen andere gesellschaftliche Gruppen machen. Aber offensichtlich ist es uns noch nicht gelungen, diese Dramatik sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung in den Köpfen zu verankern. Das ist die Aufgabe, die wir sehen: weiterhin intensiver aufklären. Und zwar nicht nur in Fachpublikationen, sondern dass das Wissen, das bereits vorhanden ist, von der breiten Bevölkerung, von der Politik erkannt wird, sodass wir nachher die Mehrheiten für Handlungen haben. Das müssen wir erreichen.

»Ich versuche immer, eine klare Sprache zu wählen, aber inhaltlich bei den Fakten zu bleiben. Das ist ein bisschen eine Gratwanderung.«

Als Reaktion auf das Klimapaket der Bundesregierung haben Sie im Herbst 2019 ein Video mit dem Titel »Warum ist das Klimaschutzpaket zum Kotzen?« veröffentlicht. Das ist zunächst einmal keine besonders wissenschaftliche Ausdrucksweise. Wie gehen Sie in Ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit der Schwelle zwischen Wissenschaft und Aktivismus um?

Da muss man unterscheiden. S4F versteht sich als klar wissenschaftliche Gruppe, die keine politischen Forderungen aufstellt. Parallel dazu ist ja jede*r von uns auch als Wissenschaftler*in tätig und natürlich auch als Mensch. Das, was ich auf YouTube mache, läuft nicht unter S4F. Das heißt, hier stelle ich Sachen so dar, wie ich es persönlich für richtig erachte. Und ich trenne das auch ganz klar. Ich würde solche Videos nicht im S4F-Logo drehen, weil die sicherlich über das hinausgehen, was die Mehrheit der Kolleg*innen mitträgt.

Daher mache ich das privat. Da geht es darum, auf den sozialen Medien Bevölkerungskreise zu erreichen, die nicht unbedingt wissenschaftsaffin sind. Und dann muss man sich auch in der Sprache entsprechend anpassen. Ich versuche immer, eine klare Sprache zu wählen, aber inhaltlich bei den Fakten zu bleiben. Das ist ein bisschen eine Gratwanderung. Die Wissenschaft versucht immer, sehr sachlich zu bleiben, aber dann sind meistens halt auch die Schlagzeilen so dröge, dass es niemanden mehr interessiert. Und dann haben wir das Dilemma: Es gibt einen super spannenden, interessanten Artikel, der die Handlungsnotwendigkeiten des Klimaschutzes beschreibt, den aber niemand liest. Deswegen bin ich dazu übergegangen, Schlagzeilen oder Zusammenfassungen ein bisschen klarer zu formulieren, auch in einer etwas anderen Sprache.

 

Die S4F sprechen sich dafür aus, dass die Wissenschaft eine aktivere Rolle im gesellschaftlichen Diskurs übernehmen sollte. Gibt es auch Aspekte innerhalb der Wissenschaft, die sich ändern müssen, um dieser Rolle gerecht werden zu können?

Wir haben in der Wissenschaft ein großes Problem, dass viele Kolleg*innen sich schwertun, die disruptiven Veränderungen, die uns bevorstehen, anzuerkennen. Viele reflektieren wissenschaftliche Ergebnisse auf das, was man selber im eigenen Handlungsrahmen für möglich erachtet. Und dann schließt sich der*die Wissenschaftler*in mit dem Menschen und den eigenen Handlungsoptionen kurz und schließt Handlungsoptionen aus, bei denen man denkt: Theoretisch ist das zwar notwendig, aber es ist nicht machbar. Das erkenne ich bei vielen Kolleg*innen. Da ist also nicht das Problem, dass wir nicht genug Forschungsgelder für bestimmte Themen haben, sondern dass auch viele Kolleg*innen mit der Größe der Probleme aus psychologischen Gründen nicht ganz zurechtkommen und sich dann natürlich auch nicht trauen, das zu publizieren, was nötig ist.

Da haben die Bewegungen Fridays for Future und S4F sehr viel beigetragen. Man bewegt sich in der Wissenschaft in einem Diskurs. Und es dauert auch bei der Wissenschaft leider sehr lange, bis sich solche Diskurse verschieben. Das ist natürlich sehr schwierig, wenn wir große, disruptive Veränderungen haben wollen. Da tut sich zwar viel, aber gerade für die disruptiven Veränderungen bei der Klimakrise gehen diese Entwicklungen wahrscheinlich in der Wissenschaft noch zu langsam.

»Man muss sich dann aber natürlich auch als Wissenschaftler*in dem aussetzen, was in der Öffentlichkeit passiert. Das muss man als Wissenschaftler*in erstmal aushalten.«

Sie betonen sehr stark die Rolle von Kommunikation, um wissenschaftlichen Erkenntnissen zu mehr Wirkung in Politik und Gesellschaft zu verhelfen. Zugleich wissen wir beispielsweise beim Klimawandel seit Jahrzehnten, was das Problem ist und was wir tun müssten. Dennoch passiert nicht genug. Reicht Wissenschaftskommunikation an sich wirklich aus? Oder müsste es vielmehr Teil einer größeren Strategie sein, wo zum Beispiel gesellschaftliche Akteur*innen schon im Forschungsprozess beteiligt werden?

Man muss als Wissenschaftler*in darauf achten, dass man die Faktenbasis nicht verlässt. Was ich mache, ist manchmal schon grenzwertig, weil ich das sehr rudimentär herunterbreche. Aber ich erreiche damit auch Einiges. Es gibt sehr wenige Kolleg*innen, die entsprechend mutig in die Öffentlichkeit gehen. Man muss sich dann aber natürlich auch als Wissenschaftler*in dem aussetzen, was in der Öffentlichkeit passiert. Wenn ich etwas auf Twitter schreibe, heißt das ja nicht, dass das alle toll finden. Da gibt es auch ganz viele, die das nicht gut finden. Und das führt zu massivem Gegenwind, Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen. Das muss man als Wissenschaftler*in auch erstmal aushalten. Das sind viele Kolleg*innen natürlich nicht gewöhnt. Das Schlimmste, was Wissenschaftler*innen passieren kann, ist, dass man eine Publikation veröffentlicht und dass dann zwei Jahre später eine darauf basierende Publikation herauskommt, die eine andere Position vertritt. Das war bislang in der Wissenschaft die Höchststrafe.

Sich dieser Öffentlichkeit auszusetzen, muss man sich daher erst einmal trauen. Es sind einfach viel zu Wenige in der Öffentlichkeit. Wenn sich Hunderte oder Tausende Wissenschaftler*innen entsprechend äußern würden und Fake News durch Leute mit Reputation sofort widerlegt werden, dann haben die auch nicht mehr so eine große Chance. Die Aufgabe von Wissenschaftler*innen in diesen Zeiten ist es auch, ihre Erkenntnisse ganz klar öffentlich zu kommunizieren. Und wenn Fake News auftreten oder gesellschaftlich fragwürdigen Praktiken, dass man sich dem auch als Zivilgesellschaft entgegenstellt und dieser Verantwortung gerecht wird. Jede*r Wissenschaftler*in ist auch Mensch und Teil der Zivilgesellschaft.

 

Reicht es bei Fake News wirklich, diese zu widerlegen? Bei Trump gibt es ja genug Belege, wie oft er pro Tag lügt, was nicht dazu geführt hat, dass er weniger lügt oder dass sein Rückhalt in der Bevölkerung schwindet.

Ich denke, es ist schon ein Unterschied, ob die Washington Post einen journalistischen Artikel schreibt, wo gezeigt wird, dass Donald Trump lügt oder ob sich fünf Professor*innen äußern. Ich glaube, das hat dann schon nochmal eine andere Relevanz. Deswegen glaube ich, dass die Wissenschaft da mehr machen könnte. In der Regel sind das derzeit Journalist*innen, die diese Aufklärungsarbeit leisten, nicht die Wissenschaft.

 

Wie gehen Sie persönlich mit den Angriffen um, von denen Sie gesprochen haben?

Bei mir ist es ja noch relativ harmlos. Wenn ich mir die Twitteraccounts einiger Fridays for Future-Aktivist*innen anschaue, da wird mir ganz übel. Es ist leider der Stil der Gesellschaft momentan und damit muss man sich auseinandersetzen, wenn man in die Öffentlichkeit geht. Mit der Zeit entwickelt man da auch ein dickeres Fell, dass man so etwas nicht mehr an sich herankommen lässt. Aber da bräuchte man wahrscheinlich auch Training für die Kolleg*innen, wo man sagt: Traut euch! Wir zeigen euch, wie und erklären euch auch, wie ihr damit umgeht, wenn ihr unter Beschuss geratet. Das ist komplettes Neuland für die meisten und hier sind bisher alle in der Community auf sich allein gestellt.

»Der Austausch mit anderen Kolleg*innen, die alle das gleiche Ziel haben, nämlich das Stoppen der Klimakrise, das befruchtet, erweitert den Denkhorizont und ist daher auch für die Wissenschaft sehr zuträglich.«

Wie kommunizieren Sie mit Menschen, die skeptisch sind gegenüber Themen wie Klimaschutz oder Energiewende?

Wir erleben gegenwärtig eine starke Blasenbildung. Wenn wir permanent nur mit Leuten reden, die aufgeschlossen für die Energiewende sind, ist das zwar nicht verkehrt. Aber wenn die auf Mehrheitsverhältnisse von 25 Prozent in Deutschland kommen, dann wird man nichts erreichen. Also muss man auch die konservativen Kräfte mit einbeziehen. Da gibt es natürlich bei den Skeptiker*innen auch ganz viele Unbelehrbare, die ein geschlossenes Weltbild haben. Bei diesen Leuten wird man keine Veränderung erreichen, da kann man noch so gute Argumente bringen. Man kann es probieren, aber da ist das Scheitern vorprogrammiert.

Aber es gibt ja auch viele, die gerade bei den Klimaleugner*innen mitmachen, weil die am Anfang vielleicht ein Argument ganz gut fanden, aber insgesamt noch unentschlossen sind. Diese Menschen kann man sicherlich noch mit guten Argumenten erreichen. Dafür versuche ich, gedanklich in deren Welt einzutauchen und damit deren Argumente zu widerlegen. Ganz wichtig ist immer, mit argumentativer Sprache bei den Fakten zu bleiben, und dann kann man versuchen, einige abzuholen. Aber man wird es nicht schaffen, dass jetzt alle Klimaleugner*innen sagen: Wir erleben die Klimakrise, also wollen wir jetzt alle Windräder bei uns in der Nachbarschaft. Das wäre illusorisch zu erwarten.

 

Was möchten Sie jungen Menschen zum Abschluss mit auf den Weg geben?

Was super war im letzten Jahr, war die enorme Vernetzung der Wissenschaft. Wissenschaftler*innen sind ja häufig Einzelkämpfer*innen, die sich vielleicht mal auf einer Konferenz treffen, aber mehr auch nicht. Wir haben durch S4F eine Vernetzung über ganz viele Fachdisziplinen hinweg, Leute, mit denen ich in meinem normalen Fachumfeld nie in Berührung gekommen wäre. Das ist sehr befruchtend. Deswegen kann ich nur empfehlen, sich dort zu engagieren. Also gerade diese Arbeit, der Austausch mit anderen Kolleg*innen, die alle das gleiche Ziel haben, nämlich das Stoppen der Klimakrise, das befruchtet, erweitert den Denkhorizont und ist daher auch für die Wissenschaft sehr zuträglich. In dieser Vernetzung kann man auch Argumente gegen Fake News viel besser transportieren. Deswegen würde ich mir wünschen, dass diese Vernetzung noch weiter vorangeht und noch viel mehr Wissenschaftler*innen mitmachen. So können wir den Drive, den wir letztes Jahr gewonnen haben, noch weiter fortsetzen. Und ich glaube, dass dann Einiges entstehen kann in dieser Gesellschaft, dass wir diese wirklich nachhaltig zum Positiven verändern können.

 

Interview: März 2020