Projektwerkstätten

Technische Universität Berlin

Creative Biogas Lab; © Catherina Clausnitzer

Ort: Berlin
Seit: 1985
Bis:
Aktiv in: Lehre; Forschung
Kategorie: Forschungsgruppen und -projekte, Studentische Initiativen, Lehrveranstaltung
Website

Das übergeordnete Ziel eurer Arbeit:

Studierende nehmen die Lehre selbst in die Hand und gestalten in den selbstorganisierten «Projektwerkstätten für sozial und ökologisch nützliches Denken und Handeln» ihr Studium eigenverantwortlich.

 

Beschreibt in bis zu 100 Worten, wer ihr seid und was ihr macht:

In den Projektwerkstätten nehmen Studierende seit 1985 ihr Lernen selbst in die Hand: Sie initiieren ihre eigenen Lehrveranstaltungen und führen diese zusammen mit anderen in Eigenregie durch. Mitmachen können Studierende aller Hochschulen, Semester und Studiengänge. Die studentischen Tutor*innen werden bei Antragstellung und Durchführung inhaltlich von einem Fachgebiet der TU unterstützt und vom Wissenschaftsladen kubus überfachlich betreut. Thematisch sollen die Projektwerkstätten Themen abdecken, die im Regellehrangebot nicht ausreichend behandelt werden. Sie sollen nachhaltig und interdisziplinär ausgerichtet sein; ein alternativer methodisch-didaktischer Ansatz ist ausdrücklich erwünscht. Auf Partizipationsmöglichkeiten für die Teilnehmenden, die in der Projektwerkstatt reguläre Studienleistungen erbringen können, wird besonderer Wert gelegt.

 

3 thematische Schwerpunkte eurer Arbeit:

Studentisch organisierte Lehre

Theoretische und praktische Projektarbeit zu selbstgewählten Themen aus dem Bereich Nachhaltigkeit

Inter- und transdiziplinäre Gruppenarbeit

 

Beschreibt eure Aktivitäten in zehn Stichworten:

studentisch organisierte Lehre; kritisch-emanzipatorische Bildung; Selbstorganisation; Partizipation; Nachhaltigkeit; Projektarbeit; interdisziplinäre Gruppenarbeit; Transdisziplinarität; Praxislernen; Transformation der Hochschule

Wo würdet ihr eure Praxis verorten zwischen…

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Nische            

Gesamt-
gesellschaftlicher
Gegenentwurf

Je nachdem, welches Thema in einer Projektwerkstatt behandelt wird, kann es sich sowohl um Nischen als auch um große gesellschaftliche Gegenentwürfe handeln. Hinter dem Format an sich steht der große gesellschaftliche Gegenentwurf umfassender Partizipation und die Stärkung selbstorganisierter Strukturen.

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Wissenschaft

Aktivismus

Für die einzelne Projektwerkstatt und deren Tutor*innen kann ihr aktivistischer oder wissenschaftlicher Anspruch variieren, aber die Stärkung der studentischen Selbstorganisation im Rahmen des hierarchischen Systems Universität ist per se aktivistisch!

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Ehrenamt       

Hauptamt

Die Tutor*innen sind als studentische Hilfskräfte angestellt und werden für ihre Betreuungsarbeit bezahlt; die bezahlte Arbeitszeit deckt aber häufig nicht all die interessanten und wichtigen Dinge ab, die das Projekt für sie bereit hält.

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Realpolitik      

Utopie

Mit der Utopie im Blick arrangieren sich die Projektwerkstätten mit den realpolitischen Gegebenheiten an der Hochschule – Bürokratie, Sparzwänge und verwandte Ärgernisse – und versuchen, das Beste daraus zu machen.

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Etabliert          

Newcomer

Projektwerkstätten sind eigentlich seit Jahrzehnten erfolgreich etabliert, trotzdem befinden sie sich immer im Kampf um ausreichende Finanzierung und Stellenausstattung. Und sie besitzen durch das alternative partizipative Lehrkonzept immer noch Innovationspotenzial für die Regellehre.

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Top-down      

Bottom-up

Wenn Studierende schon im Studium die Möglichkeit bekommen, sich durch Selbstorganisation als kooperationsfähig, handlungs- und wirkmächtig zu erfahren, wird das bottom-up die Gesellschaft in allen Lebensbereichen verändern.

Mit welcher eurer Aktivitäten aus der letzten Zeit seid ihr besonders zufrieden und warum?

Im aktuellen Semester (Sommersemester 2021) laufen 22 Projektwerkstätten parallel. Dass es so viele Projektwerkstätten gibt und dass diese auch nach 35 Jahren noch so stark nachgefragt werden, macht uns zufrieden und stolz.

Stolz sind wir auch auf die Projektwerkstätten, die so erfolgreich waren, dass sie nach Auslaufen der Förderung verstetigt wurden, sei es als Studienreformprojekte, Regellehrveranstaltungen, Start Ups oder studentische Initiativen.

Viele der Projekt-Tutor*innen sind außerdem sehr zufrieden mit dem Verlauf ihrer Projekte und dem positiven Feedback, das sie von den Teilnehmenden erhalten.

 

Welche Aktivitäten habt ihr als nächstes geplant?

Nach dem Semester ist vor dem Semester! Die Tutor*innen werten das vergangene Semester aus und planen die Projektaktivitäten für das kommende Semester.

Die überfachliche Betreuung der Projektwerkstätten beim Wissenschaftsladen kubus bereitet die nächste Antragsrunde vor, bemüht sich um die bestmögliche Begleitung für die laufenden und neu beginnenden Projektwerkstätten, ist für spontan auftretende Probleme aller Art ansprechbar und treibt die Vernetzung mit anderen studentisch organisierten Lehrveranstaltungen und Initiativen innerhalb und außerhalb der Technischen Universität voran. Gemeinsam können wir noch so viel mehr verändern!

 

Zu welchem Thema würdet ihr gerne arbeiten oder aktiv werden, wenn ihr keinen praktischen Einschränkungen (z.B. Finanzierung, Zeit) unterläget?

Die überfachliche Betreuung bei kubus würde den Tutor*innen gerne noch mehr methodisch-didaktische Angebote für ihre selbstorganisierte Lehre machen und auch Themen, die von den Tutor*innen angesprochen, aber in den Tutor*innentreffen nur am Rande diskutiert werden können, mehr Zeit einräumen. In der intensiveren Beschäftigung mit der eigenen Praxis liegt ein Lernpotenzial, das noch besser ausgeschöpft werden könnte.

Die Tutor*innen würden möglicherweise all den weiterführenden Fragen zu ihrem Projektthema nachgehen, die sie jetzt aufgrund der begrenzten Zeit vernachlässigen müssen.

Mit einer unbeschränkten Finanzierung gäbe es wahrscheinlich doppelt bis dreifach so viele Projektwerkstätten (gemessen an der Zahl eingereichter Anträge) und deutlich mehr Praxisprojekte, die jetzt manchmal nicht zustande kommen, weil die Sachmittelausstattung für ihre Umsetzung zu gering ist. Themen, die in den letzten Jahren aufgrund begrenzter Sachmittel nicht oder nur in reduzierter Form umgesetzt werden konnten, kamen zum Beispiel aus den Bereichen regenerative Antriebe, autonomes Fahren oder die Konzeption und Programmierung von Apps.

Welche zentrale Lernerfahrung habt ihr in eurer Arbeit zu Transdisziplinarität und transformativer Wissenschaft gemacht?

Kommunikation ist wichtig und die Regeln, nach denen diese funktioniert, sind unbewusst und systemspezifisch. Das fällt schon auf, wenn man interdisziplinär arbeitet, noch viel mehr aber, wenn man mit Akteur*innen und Gruppen außerhalb der Universität kooperiert. Implizite Kommunikationsmuster und Prioritätensetzungen bewusst zu machen und auszuformulieren ist Arbeit und kostet Zeit und Energie, die in der Projektplanung berücksichtigt werden sollte.

Außerdem werden Lernprozesse, die sich dem gängigen Prüfungs- und Bewertungsschema entziehen, häufig im Rahmen der Hochschule nicht anerkannt und sind damit umstritten. Es bräuchte eine umfassende Diskussion darüber, worin der Erfolg eines transdisziplinären Kooperationsprojekts und eines Lernprozesses besteht, wie diese erfasst werden können und welche Art der Übersetzung in eine Bewertung es braucht.

 

Was ist euer Geheimtipp für die Arbeit zu Transdisziplinarität und transformativer Wissenschaft?

Studierende sind ein super Bindeglied zwischen Hochschule und zivilgesellschaftlichen Gruppen außerhalb der Hochschule, denn sie sind noch nicht so festgefahren in den Grenzen ihrer Fachdisziplinen und stellen ganz andere Fragen. Dieses Potenzial sollte genutzt werden, um die Hochschule zur Gesellschaft zu öffnen und neuen Wind in die Universitäten zu bringen!

 

Was ist die größte Herausforderung bei Aktivitäten zu Transdisziplinarität und transformativer Wissenschaft?

Ganz praktisch ergibt sich das Problem, bei der allgemeinen Knappheit von Ressourcen (Zeit, Geld, …) die zusätzlichen Kapazitäten aufzubringen, die zur Überbrückung der Systemgrenzen und zur Arbeit in einem transdisziplinären Umfeld notwendig sind.

Auf einer anderen Ebene stellt das Erkennen der unterschiedlichen Logiken, Bezugssysteme und Kommunikationsstrategien innerhalb und außerhalb der Hochschule eine Herausforderung dar.

Und schließlich sehen wir große Herausforderungen bei der Zusammenarbeit auf Augenhöhe: Der universitäre Part muss in Teilen Abstand vom eigenen Wahrheitsanspruch und der eigenen Autorität nehmen, um den Kooperationspartner*innen auch Expertise in Hinblick auf die eigene Lebenswelt zuzugestehen. Damit tut sich Wissenschaft manchmal schwer.

 

Welche institutionellen und/oder strukturellen Faktoren erschweren euch die Aktivitäten im Bereich Transdisziplinarität und transformative Wissenschaft?

Stellenausstattung:

Viele der zeitlichen Ressourcen der überfachlichen Betreuung bei kubus fließen in die Sicherung der Tutor*innen- und Betreuungsstellen. Diese Zeit könnte besser für andere Aktivitäten genutzt werden, zum Beispiel die Unterstützung der Tutor*innen in ihrer Projektarbeit.

Die Tutor*innen-Stellen mit einem Umfang von 10 Wochenstunden decken zudem oft nicht den tatsächlichen Arbeitsaufwand der Projekte ab – was das für zeitaufwändigere Kooperationen bedeutet, kann man sich ausmalen.

 

Bedeutung von Lehre im System Hochschule:

Lehre ist an der TU Berlin weniger prestigeträchtig als Forschung. Daraus folgt einerseits weniger Berücksichtigung bei der Stellenzuteilung (s.o.), andererseits fällt es Projektwerkstätten manchmal schwer, die Unterstützung eines*einer Professors*Professorin zu gewinnen. Und eine Projektwerkstatt, die kein betreuendes Fachgebiet hat, kann nicht bewilligt werden und damit nicht stattfinden.

 

Enger Rahmen der Regellehre und geringer Umfang des Bereiches Freie Wahl:

Der Rahmen einer Lehrveranstaltung, insbesondere einer Veranstaltung im Bereich «Freie Wahl», grenzt die Projektaktivitäten in ihrem Umfang ein. (Gleichzeitig können durch die Einbindung in die Regellehre aber neue Zugänge geschaffen werden und innerhalb der Hochschule existierende Anreizsysteme genutzt werden.)

 

Was sind aus eurer Sicht blinde Flecken im Diskurs zu transformativer Wissenschaft?

Wir vermissen den Blick auf das, was schon seit Jahren und Jahrzehnten an Hochschulen existiert, sich auch als transformativ versteht, aber nicht auf dieser «neuen Schlagwort-Welle» mitschwimmt. Anstatt laufend neue Strukturen und Institutionen zu schaffen, wäre es von Zeit zu Zeit auch wünschenswert, die bestehenden Einrichtungen zur Kenntnis zu nehmen, sie in die Debatten einzubinden, zu stärken und besser zu vernetzen.

Und wir vermissen in der Theoriedebatte eine stärker praxisorientierte Perspektive. Erworbene Erfahrungen in einem Reflexionsprozess in theoretische Kontexte einzubinden ist wichtig und wertvoll, aber wir sehen die Gefahr einer übermäßigen Theoretisierung im Vorfeld, die der Transformation im Wege steht, weil sie so viele Fragen vorwegschickt, dass der Schritt in die Praxis gar nicht mehr gewagt wird. Wir wünschen uns mehr Mut zu Experimenten!

Stand: September 2021