Im Gespräch mit

Alexandra Lux

Leiterin des Forschungsschwerpunkts Transdisziplinäre Methoden und Konzepte am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE)

Liebe Alexandra, was macht Transdisziplinarität für dich aus?

Transdisziplinarität ist immer dann sinnvoll und notwendig, wenn es ein gesellschaftliches Problem gibt, zu dem auch wissenschaftlich noch Fragen zu stellen sind. Die Problemorientierung steht also im Vordergrund. Um derartige Probleme zu verstehen, sollte man integrativ arbeiten, das heißt disziplinübergreifend und immer im Austausch mit relevanten Akteuren und Wissensträger*innen. Wenn es dann um Lösungsoptionen geht, ist es wichtig, räumlich und vom Handlungsfeld her kontextbezogen zu arbeiten. Diese drei Punkte – Problemorientierung, integratives Arbeiten und Kontextbezug – umschreiben für mich sehr gut, was Transdisziplinarität ausmacht.

Wichtig ist dabei für mich die Frage: Wenn ich kontextbezogen arbeite, wie kann ich dann dafür sorgen, dass das, was an einer Stelle funktioniert, auch an anderer Stelle wieder nutzbar ist? Wie kann man aus Einzelfällen etwas lernen für andere oder für das Allgemeine? Letztendlich ist das also eine Frage der Übertragbarkeit und des Lernens.

Alexandra Lux ist seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) und leitet seit April 2015 den Forschungsschwerpunkt Transdisziplinäre Methoden und Konzepte (Profil). Sie besitzt langjährige Forschungserfahrungen in den Bereichen Integrierte Wasserforschung und Sozial-ökologische Biodiversitätsforschung. Diese Kenntnisse verbindet sie in ihren aktuellen Arbeiten zu Konzepten der transdisziplinären Integration und des Wissenstransfers auf konzeptioneller und theoretischer Ebene.

[Porträtfoto © ISOE/Harry Kleespies]

Was sind typische Herausforderungen und Stolpersteine in der transdisziplinären Forschung?

Meiner Erfahrung nach ist eine zentrale Herausforderung, mit der man immer wieder neu anfangen muss, die Begriffsarbeit und Verständigung. Selbst in Kooperationen mit Menschen, mit denen man schon zusammengearbeitet hat, aber dann in ein neues Themenfeld geht, muss wieder neu geklärt werden: Was sind unsere zentralen Begriffe und was verstehen wir darunter? Das fängt bei ganz kleinen Sachen an, wie zum Beispiel: Was verstehen wir unter Biodiversität? Selbst innerhalb von Disziplinen gibt es da manchmal Missverständnisse. Das ist eine Arbeit, die nie abgeschlossen ist.

Und das ist wahrscheinlich auch der größte Stolperstein, weil man sich irgendwann denkt: »Okay, jetzt habe ich es ja verstanden.« Aber durch diese große Rolle von Kooperationen in der transdisziplinären Arbeit ist das etwas, was man immer wieder neu aufrollen muss. Und gerade, wenn ich dann mit gesellschaftlichen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Unternehmen ins Gespräch komme, ist diese Arbeit doppelt so sorgfältig zu erledigen, weil einfach zu viele Bedeutungshorizonte ins Spiel kommen. Das sollte man auch nicht in der Projektlaufzeit irgendwann für abgeschlossen erklären, sondern immer wieder überprüfen: Haben wir eigentlich noch ein gemeinsames Verständnis oder hat sich da etwas verändert, das wir anpassen müssen? Nicht nur hier zeigt sich, Adaptivität ist zentral in der transdisziplinären Forschung.

 

Was ist außerdem wichtig, damit die Zusammenarbeit in transdisziplinären Teams gelingt?

Im transdisziplinären Kontext habe ich es immer mit verschiedenen Perspektiven und Wissensarten zu tun. Es lohnt sich, kritisch zu hinterfragen, beispielsweise: Wo kommt das Wissen eigentlich her? Wie kommt ihr als Insektenforscher*innen zu einem bestimmten Ergebnis? Wie kommt die Institutionenanalyse zu einem bestimmten Ergebnis? Und wie verbinde ich das jetzt in einem Stakeholderprozess?

Dieser Dialog ist manchmal unbequem, da muss man dranbleiben. Und dann aber auch hinterfragen und reflektieren: Was bewirkt das jetzt, was wir machen, also nicht im Sinne der gesellschaftlichen Wirkung, sondern welche Verantwortung übernehmen wir, wenn wir bestimmte Erkenntnisse formulieren, publizieren, an andere weitertragen, in welcher Form auch immer? Es ist wichtig, diese Spannungsverhältnisse »Wo kommt es her, wo geht es hin?« immer wieder zum Diskussionsgegenstand in Projekten zu machen.

Dazu gehört auch, dass man so etwas wie eine Kultur der Zusammenarbeit schafft und lebt. Das erfordert ein Wechselspiel zwischen sehr formellen Prozessen, zum Beispiel einem Projekttreffen, wo alle ihre Ergebnisse vorstellen, und dann daran anschließend aber auch etwas eher Informellem, wo dann nochmal die Dinge wirklich von allen Seiten betrachtet werden und eine gemeinsame Diskussion stattfindet.

»Welche Verantwortung übernehmen wir, wenn wir bestimmte Erkenntnisse formulieren, publizieren, an andere weitertragen, in welcher Form auch immer?«

Du interessierst dich auch dafür, wie an Science-Policy-Interfaces wissenschaftliches und gesellschaftliches Wissen gut zusammengebracht werden kann. Was sind hier deine Erfahrungen?

Bei Science-Policy-Interfaces liegt die Gelingensbedingung für mich in der Relevanz der bearbeiteten Fragestellung für die konkrete Entscheidung. Dort muss es eine sehr hohe Passfähigkeit geben. Ich habe mehrere Jahre den Aufbau eines Mechanismus zur Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen in der Biodiversitätspolitik auf EU-Ebene begleitet. In diesem Zusammenhang war immer die Frage: Wo ist eigentlich die Relevanz dessen, was erarbeitet wird, für die Entscheidungen auf europäischer Ebene? Was brauchen die Kommission und das Parlament an Kernaussagen aus dem Wissensschatz, den es zu diesem Themenbereich gibt? Sonst ist die Gefahr, dass ein schöner Bericht geschrieben und gut präsentiert wird. Alle nicken – und machen danach doch weiter wie immer, weil einfach die Anschlussfähigkeit nicht gegeben ist. Die Vorbereitungsphase ist also extrem wichtig und es sollte ausreichend Zeit dafür eingeplant werden. Bis zu einem Drittel der angesetzten Zeit kann da sinnvoll sein.

 

Wie bewertest du die aktuellen wissenschaftspolitischen Entwicklungen rund um Transdisziplinarität?

In der Geschichte des ISOE war die Etablierung des Förderschwerpunkts Sozial-ökologische Forschung beim BMBF Ende der 1990er-Jahre ein großer Erfolg. Nun stelle ich fest, dass sich Transdisziplinarität als Begriff im Lauf der Jahre auch in der Förderpolitik etabliert hat. Aber dabei wird selten genau definiert, was man damit eigentlich meint und beabsichtigt. Aktuell findet man Ausschreibungen, die festlegen: Es ist transdisziplinär zu forschen. Aber die Erwartung des Fördermittelgebers wird dabei nicht mehr ganz explizit. Es wird erst einmal nur mit dieser Worthülse gearbeitet, in die dann viele Bedeutungen reingelegt werden können von den Menschen, die sich bewerben, von den Gutachter*innen, und in der Projektdurchführung. Da hätte ich einen Wunsch an die Wissenschaftspolitik, sich noch einmal genauer mit dem Begriff der Transdisziplinarität und den eigenen Intentionen auseinanderzusetzen. Verschiedene Fördermittelgeber haben nämlich auch sehr unterschiedliche Verständnisse. Transparenz würde hier also mehr Dialog, Auseinandersetzung und Reibung ermöglichen.

»Bei Science-Policy-Interfaces liegt die Gelingensbedingung für mich in der Relevanz der bearbeiteten Fragestellung für die konkrete Entscheidung. Dort muss es eine sehr hohe Passfähigkeit geben.«

Vermutlich geht es aber nicht nur um Transparenz, sondern auch um die Substanz des Begriffs.

Das stimmt, es kam sicher ein wenig zu einer Verwässerung des Begriffs. In den 1990er-Jahren haben sich sehr wenige mit Transdisziplinarität als Forschungsgegenstand beschäftigt. In den frühen 2000er-Jahren haben sich die verschiedenen Schulen oder Konzepte entwickelt. Und jetzt werden die sehr breit aufgegriffen und das ist total erfreulich, weil es für bestimmte Probleme einfach eine transdisziplinäre Bearbeitung braucht. Nicht für alle, aber es gibt viele gesellschaftliche Bereiche, wo transdisziplinäre Forschung den Erkenntnis- und Handlungsfortschritt unterstützen kann. Gleichzeitig ist damit, dass diese Akteursvielfalt auf der Forschungsseite auftritt, auch eine Verwässerung verbunden, weil es sehr unterschiedliche Verständnisse gibt und manchmal auch einfach bestimmte Fördertöpfe erschlossen werden sollen.

Ich sehe diese Entwicklung als einen Prozess: Am Anfang war es eine sehr kleine Community, die sich dann verbreitert hat. Es wird alles vielfältiger, vielleicht manchmal auch orientierungsloser, die Kernpunkte sind nicht mehr so klar. Ich habe aber die Hoffnung, dass es auch wieder einen Schließungsprozess gibt. Also, dass über Angebote wie die tdAcademy, das td-net und andere Diskussionszusammenhänge wieder eine Verständigung erfolgt: Was macht uns eigentlich aus als transdisziplinär Forschende? Wo haben wir es mit reiner Partizipation zu tun, die einen bestimmten Vorgang legitimiert? Wo ist es Aktionsforschung, bei der ich einen Impuls setze, alles andere weiterlaufen lasse und als Wissenschaftler*in vor allem beobachte, was passiert? Das sind für mich drei Unterscheidungen, die oft alle als transdisziplinär bezeichnet werden und wo ich dann das Verwässerungsgefühl habe.

 

Wie kann man einer solchen Verwässerung des Begriffs entgegenwirken?

Wir versuchen, den Fördermittelgebern Angebote zu machen. Im Projekt TransImpact beispielsweise haben wir beleuchtet, in welchen Bereichen eigentlich gesellschaftliche Wirkungen liegen können. Basierend darauf kann man fragen: Welche davon sollen durch die Fördermittel gefördert werden? Geht es um die Verbesserung von Umweltbilanzen? Geht es darum, Netzwerke zu stärken oder geht es darum, marginalisierte Gruppen zu empowern? Wir versuchen also über unsere wissenschaftliche Arbeit, Angebote zu machen und die wissenschaftspolitische Auseinandersetzung zu unterstützen.

»Man sollte klar auseinanderhalten können: Wo bin ich aktivistisch und möchte die Welt verändern? Und wo bin ich Wissenschaftler*in und bringe das in eine methodisch geleitete Bahn? Das hält man manchmal nur ganz schwer aus.«

Welche Kompetenzen findest du wichtig, um transdisziplinär zu arbeiten?

Transdisziplinäres Arbeiten liegt besonders denjenigen, die einen normativen Antrieb – zum Beispiel in Richtung Nachhaltigkeit – haben, aber gleichzeitig auch eine starke analytische Kompetenz. Man sollte klar auseinanderhalten können: Wo bin ich aktivistisch und möchte die Welt verändern? Und wo bin ich Wissenschaftler*in und bringe das in eine methodisch geleitete Bahn? Das hält man manchmal nur ganz schwer aus. In solchen Situationen denke ich oft: Als politisch denkender Mensch würde ich jetzt eigentlich dies und das machen. Aber wenn ich mich als Wissenschaftlerin in meiner Sozialisation in einer bestimmten Disziplin bewege, dann dürfte ich gar nicht so weit gehen. Menschen, die diese Reibung aushalten können, können meines Erachtens langfristig gut in der transdisziplinären Forschung arbeiten. Sie werden zum einen nicht enttäuscht, wenn sie ihre normativen Ziele nicht vollständig umsetzen können und sind zum anderen auch nicht enttäuscht, wenn sie nicht laufend hochrangig publizieren können.

 

Wie geht ihr in eurer Arbeit damit um? Versucht ihr gezielt, Lern- und Reflexionsräume für diese Fragen zu schaffen?

Ich glaube, diese Fragen kann man nicht nur mit sich selbst ausmachen. Natürlich muss man auch regelmäßig für sich reflektieren: Wo stehe ich gerade? Wo möchte ich eigentlich hin? Gerade in Projekten ist es aber wichtig, darüber im Austausch zu bleiben. Wir versuchen, das in Projekten über ein starkes Integrationskonzept zu erreichen: Wo sind eigentlich für die Fragestellung, die wir bearbeiten, die Punkte, an denen alle etwas beitragen? Das können zum Beispiel Handlungsempfehlungen sein, die aus verschiedenen Disziplinen und Perspektiven heraus bearbeitet werden. Und wo sind aber auch Bereiche, wo das eben nicht notwendig ist? Wo mache ich meine Grundlagenforschung und frage mich beispielsweise: Wie funktioniert eigentlich Partizipation? Das muss die naturwissenschaftliche Seite nicht interessieren. Das muss am Ende nur funktionieren und ich muss die Ergebnisse berichten können. Wo bin ich sozusagen in einem fachlichen Modus und wo ist der integrative Punkt? An diesen integrativen Punkten muss dann gemeinsame Reflexion stattfinden.

Die Projekte können das aber nicht alleine auffangen, sondern da braucht es einen weiteren Diskussionskreis. Da haben wir hier am ISOE gute Bedingungen, weil wir am Institut alle immer wieder mit sehr ähnlichen Projektprozessen zu tun haben. Daher haben wir am Institut einen Prozess der kognitiven Integration ins Leben gerufen. Das ist ein Austauschraum, in dem wir uns darüber verständigen, was theoretisch und methodisch unsere gemeinsamen Grundlagen sind und wo es Diversität gibt. Diesen Raum schätze ich unheimlich am ISOE.

»Wir sollten uns nicht immer nur verteidigen à la ›Wir sind auch Wissenschaft‹, sondern auch sagen: Wir haben euch etwas zu bieten!«

Wo siehst du blinde Flecken im aktuellen Diskurs rund um Transdisziplinarität?

Für mich ist das die Frage der Rückwirkungen transdisziplinären Arbeitens auf das Wissenschaftssystem. Also könnte nicht eigentlich mit den transdisziplinären Methoden und Konzepten, die wir verwenden und die ja anders sind als die disziplinären, die Rückwirkung in die Disziplinen und in das etablierte System viel größer sein? Sollten wir da nicht mehr Anstrengung reinstecken? Wir sollten uns nicht immer nur verteidigen à la »Wir sind auch Wissenschaft«, sondern auch sagen: Wir haben euch etwas zu bieten!

Das kann zum Beispiel bedeuten, die Ergebnisse beim deutschen Soziologietag oder bei einem großen Physikkongress vorzustellen. Also wirklich an die Orte zu gehen, wo disziplinär und in sehr etablierten Strukturen gearbeitet wird und da gezielt so kleine Pflänzchen reinzusetzen. Und das idealerweise nicht nur als Einzelperson, sondern zusammen mit Mitstreiter*innen.

 

Was würde deiner Meinung nach die transdisziplinäre Gemeinschaft weiter voranbringen?

Wir bräuchten eine ehrliche Diskussion darüber, wo wir mit sehr ähnlichen Methoden arbeiten, die nur unterschiedlich heißen. Ich denke zum Beispiel an die Reallabordebatte. Es gibt Reallabore, Living Labs, Urban Labs und so weiter. Wollen die alle das gleiche und nennen es nur anders? Oder gibt es da wirklich Unterschiede? Es gibt erste Ansätze in diese Richtung, aber das müsste noch breiter geschehen. Wie viele Transdisziplinaritätsverständnisse gibt es eigentlich? Das würde mich beispielsweise sehr interessieren.

 

Was möchtest du zum Abschluss jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Kritisches Hinterfragen und tiefer schauen zu wollen ist allgemein ganz wichtig. Im Hinblick auf den Einstieg in die transdisziplinäre Gemeinschaft: Es kann helfen, erst einmal ein disziplinäres Standbein aufzubauen, von dem aus man agieren kann. Das trifft sicherlich zu, wenn man in bestimmte Handlungsfelder gehen möchte. Wenn man in die Mobilitätsforschung gehen möchte, ist es sicher hilfreich, zum Beispiel Verkehrswissenschaften studiert zu haben. Der Einstieg kann aber auch über die Wissensintegration gelingen. Dafür brauche ich ein gutes integratives Verständnis und muss Integrationsmethoden beherrschen, die über Moderation hinausgehen und den gesamten Wissensprozess begleiten können. Das ist eine eigene Kompetenz und das kann auch ein Einstieg sein.

Interview: Januar 2021